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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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es war mir gleichgültig, dass dieser Körper nicht der seine war, mich interessierte nur seine wundervolle Seele. Es war schon zu viel Zeit vergangen, ohne dass ich sie hatte küssen können.
    Ich nahm seinen Kopf in meine Hände und küsste ihn mit all der Leidenschaft, die sich in mir aufgestaut hatte und die für meine Liebe und tausend andere Lieben brannte. Es war einfach wunderschön und unvergesslich. Ich hatte die Augen geschlossen und spürte, dass die Hände an meinen Hüften Nates Hände waren und dass es wirklich und wahrhaftig Nate war, der mir über die Lippen strich. Ich gab ihm noch einen Kuss, dann drehten wir uns zu meinem Vater und zu meinen Freunden um, die keine Ahnung hatten, was hier vor sich ging.
    »Das ist Nate!«, sagte ich lächelnd. »Er ist an Ludkars Stelle gekommen.«
    Ich strich ihm durchs Haar, er durch meines. In jeder Sekunde, die wir eng umschlungen in dieser Welt verbrachten, hatte ich das Gefühl, verlorene Minuten, Tage und Monate aufzuholen, in denen wir nicht zusammen gewesen waren.
    Und ich begriff nun, was ein Kuss wirklich bedeutete.
    Es war die einzige Möglichkeit für zwei Menschen, sich all das zu sagen, was sie empfanden.
    Ich biss ihm in die Lippen.
    Es wäre so viel zu erklären gewesen, und kein einziges Wort wäre das richtige gewesen, in keiner bekannten oder noch nicht erfundenen Sprache.
    Ich freute mich an seinem Herzschlag.
    Es schlug nicht wild. Sein Herz war das Geräusch der Wellen. Ich und Nate waren das Meer, und unsere Lippen waren Morgen- und Abenddämmerung.
    Wir fühlten uns ewig. Gerade weil wir wussten, dass wir sterben konnten, dass wir alles hinter uns lassen konnten.
    Wir waren uns genug.
    Ich löste meine Lippen kurz von seinen und sah ihm tief in die Augen.
    »Was war das?«, fragte er mich leise und mit zusammengekniffenen Augen.
    Und ich antwortete leise und mit zusammengekniffenen Augen: »Das war ein Fingerhut.«
    Er lächelte mich an, und ich hatte den Eindruck, durch Ludkars Konterfei hindurch Nates Gesicht mit seinen liebenswerten Grübchen zu sehen.
    »Du hast es geschafft, ich habe mich verliebt.«
    Es war ein warmer, süßer Moment. Hin und wieder seufzend und salzig wie das Meer.
    Nates Seele brachte all das Leben in Ludkars Körper, das es ihm ermöglicht hatte, im Cinerarium durchzuhalten.
    »Nate?«, fragte Kolor noch immer ungläubig und ließ die Arme sinken, die er ausgestreckt hatte, um meine Freunde zu verteidigen.
    Nate sah mich an, als würde er mich um Erlaubnis bitten, sich von mir zu entfernen, und ich begleitete ihn sanft zu seinem alten Freund.
    »Mein Lieblings-Vampir!«, sagte er und ging auf meinen Vater zu.
    Sie sahen einander an, dann schloss Kolor die Augen und legte ihm ganz sanft eine Hand auf die Schulter.
    »Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber ich bin froh, dass du hier bist. Du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Qualen ich ausgestanden habe, als Ludkar dich getötet hat. Jeden einzelnen Augenblick bereue ich, zugelassen zu haben, dass er dir das antun konnte.«
    Nun legte Nate eine Hand auf Kolors Arm.
    »Mein Freund, du hast nur getan, was jeder gute, weise Mensch getan hätte. Du hast bis zum letzten Moment gehofft, dass auch in Ludkar etwas Gutes steckt. Quäle dich nicht – dank ihm habe ich immerhin Thara kennengelernt. Vielleicht war es Schicksal.«
    Mein Vater seufzte.
    »Es gibt kein Schicksal. Es gibt nur Fehler, und entweder macht man sie, oder man macht sie nicht.«
    Leonard, Christine und ich sahen zu, wie die beiden sich umarmten. Es war ein seltsames, schönes Gefühl, das ich noch nie zuvor empfunden hatte. Später erst begriff ich, dass es das Gefühl war, eine Familie zu haben.
    »Hm«, machte Leo schüchtern und sah Christine an. »Sollen auch wir uns … mal küssen?«
    Meine Freundin blickte ihn schief an, am Ende aber lächelte sie.
    »Aber nur ein Mal!«, sagte sie und bremste Leo, der sich schon vorgebeugt hatte. »Und nur auf die Wange!«
    Wohl oder übel gab Leo sich damit zufrieden. Vielleicht war es das, was ihr Verhältnis so stimmig machte: dass sie sich immer noch Zeit für künftige Experimente ließen.
    Ich stellte Nate meinen Freunden vor und wurde mir erst bewusst, dass sie ihn ja noch nie zuvor getroffen hatten. Ich hatte kaum darüber nachgedacht. Sie würden sich auf jeden Fall gut verstehen.
    Schweigend betrachteten wir die Grotte, als könnten wir nicht glauben, was wir noch vor wenigen Minuten hier erlebt hatten. Sie wirkte wie ein verlassenes

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