Ash Mistry und der Dämonenfürst (German Edition)
einer unterernährten Kuh ausweichen musste. Diese hatte beschlossen, mitten auf der Straße ein Nachmittags-Nickerchen zu halten, und der Roller geriet heftig ins Schlingern.
»Wo bleibt nur dieses Auto?« Ashs Onkel Vik fluchte leise, während er auf der überfüllten Straße ungeduldig nach dem bestellten Taxi Ausschau hielt, das sie zur Party bringen sollte. Onkel Vik nahm das Taschentuch aus seiner Brusttasche, breitete es aus und wischte sich damit den Schweiß von der glitzernden Glatze.
»Da drüben hockt eine Kuh und blockiert den Weg«, sagte Ash. »Sitzt da wie ein Klotz, mit der Zunge in der Nase!«
Der Kuh fehlte ein Horn und die Haut hing ihr von den Hüftknochen und schaufelgroßen Schulterblättern. Gelassen rekelte sie sich, während rings um sie herum die wütenden Fahrer von Vespas, Autos und Motorrädern brüllten und zeterten.
Onkel Vik schnaubte laut. »Das ist gar nicht gut. Wir kommen zu spät.«
»Warum kann ich nicht einfach zurück zum Haus?«, fragte Ash. »Ich verstehe echt nicht, was ich auf so einer langweiligen Party soll.«
Seine Tante Anita seufzte. Sie hatte ihren besten Sari angezogen und kämpfte darum, den Staub von ihm fernzuhalten. »Lord Savage ist ein äußerst wichtiger Gentleman«, erklärte sie. »Und er hat uns persönlich gebeten zu kommen.«
Lord Savage war ein reicher Aristokrat aus England, der in ganz Indien, sogar in der ganzen Welt, Ausgrabungen finanzierte. Nachdem Onkel Vik als Professor für Indische Frühgeschichte an der Universität von Varanasi arbeitete, war es wohl nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich die Wege der beiden kreuzten. An einem von Savages Projekten beteiligt zu sein, könnte für Onkel Viks Karriere wahre Wunder bedeuten.
»Hier geht es immerhin auch um dein Erbe, lieber Neffe.« Die tiefbraunen Augen von Onkel Vik leuchteten, als er Ash eine Hand auf die Schulter legte. »Wir reden vom Land unserer Herkunft.«
»Also ich komme aus West Dulwich in London«, stellte Ash trocken fest.
»Warum kannst du nicht wenigstens versuchen, die Zeit hier zu genießen – so wie deine Schwester?«
Lucky winkte gerade der Kuh, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, doch das Tier stieß nur ein hochnäsiges Schnauben aus.
»Ihr gefällt es hier, weil sie erst zehn ist und obendrein ziemlich dumm.«
»Ich bin überhaupt nicht dumm!« Lucky verpasste ihm mit dem Ellbogen einen Stoß in die Rippen.
»Ach, sollte das etwa wehtun?«, spottete Ash. »Ich hab kaum was gespürt.«
»Das liegt nur daran, dass du so dick bist.«
»Ich bin nicht dick!« Ash brodelte.
»Um Himmels willen, hört endlich auf, ihr zwei!«, schimpfte Tante Anita. »Es ist viel zu heiß zum Streiten.«
Ash hielt die Klappe. Onkel Vik hatte ja recht.
Seine Begeisterung für Geschichte und alte Kulturen hatte Ash vor allem ihm zu verdanken. Bis zu diesem Jahr hatten sie sich noch nie persönlich getroffen, weil Flüge von Indien nach England einfach viel zu teuer waren für jemanden, der nur ein Dozentengehalt verdiente. Aber seit Ash denken konnte, hatte sein Onkel ihm regelmäßig Briefe, Bücher, Fotos und E-Mails geschickt, in denen er ihm all die großartigen Geschichten über Indiens Vergangenheit erzählte: Legenden über Maharadschas, Tigerjagden und sagenumwobene Kriege zwischen Helden und furchtbaren Dämonen. Ashs Zimmer zu Hause in London war voller Bücher über indische Waffen und Mythen und die meisten davon hatte er von seinem Onkel geschenkt bekommen.
Als die Sommerferien vor der Tür standen und seine Eltern, die beide Vollzeit arbeiteten, vorgeschlagen hatten, dass er und Lucks ihre Verwandten in Indien besuchen könnten, hatte Ash praktisch auf der Stelle seine Koffer gepackt.
Doch das war vor der höllischen Hitze, den Mücken und den Kobras gewesen.
Wie sollte er hier nur weitere vier Wochen überstehen?
»Da ist er ja endlich.« Vik zeigte in Richtung Straße. Irgendwo in der wabernden Hitze entdeckte Ash ein altes schwarz-gelbes Ambassador-Taxi.
Allerdings steckte es fest, denn die Kuh hatte den Verkehr inzwischen vollständig zum Erliegen gebracht. Zwei Männer zerrten an dem Seil, das um ihren Hals gebunden war, aber das weiße, sture Tier bewegte sich nicht von der Stelle.
Da schlenderte der alte Schlangenbeschwörer zu ihnen herüber und verbeugte sich mit aneinandergelegten Händen.
Onkel Vik gab ihm einen Zehn-Rupien-Schein. »Ich gebe Ihnen hundert, wenn Sie es fertigbringen, diese Kuh dort wegzuschaffen.«
Der Sadhu nickte dankbar und
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