Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
auf die Veränderten. »Ich denke nicht, aber wir sollten lieber zusehen, dass wir wegkommen. Auch wenn er allein war, drinnen liegen eine Menge Tote. Könnte sein, dass andere vorbeischauen, um sich eine Mahlzeit zu holen. Unsere Pferde waren ziemlich laut, und wir auch.«
»Weg? Schon wieder?« Lenas Haut war milchig weiß, die Ringe unter ihren Augen dunkel wie Holzkohle. Ihr war dauernd schlecht, und von dem, was sie aß, hätte kein Spatz satt werden können, aber sie verlor kein Wort darüber. Allmählich plagte ihn ein böser Verdacht. Die Frage war nur, was konnte – was würde – er deswegen unternehmen.
»Chris«, sagte sie, »wir haben schon so lange keine richtige Pause … «
»Seit Tagen, ich weiß.« Er ging zum Rotschimmel, holte seinen Rucksack, dann kam er wieder und kniete sich neben Nathan hin. Durch den Riss in der Jacke sah er, wie Blut aus einer Fleischwunde drang, es pulsierte aber nicht. Chris zog eine Erste-Hilfe-Tasche heraus. »Aber wir können hier nicht bleiben, Lena. Nicht jetzt.«
»Wir sind mitten in der Walachei. Die Schule liegt ganz abgeschieden. Trampelpfade gibt es nicht, also ist er wahrscheinlich der Einzige. Chris, wir müssen uns irgendwann ausruhen.«
Er schluckte eine ungehaltene Erwiderung hinunter. Wütend zu werden brachte nichts. Stattdessen wandte er sich Nathan zu, machte behutsam den verletzten Arm des alten Mannes frei und begann, das Blut abzutupfen. Für Lena hatte er keine Antwort parat, denn sie hatte recht. Sie waren alle müde. Obwohl sie sich schließlich entschieden hatten, den Bogen nach Nordwesten zu schlagen, waren sie inzwischen seit elf Tagen unterwegs. Wenn sie ihr jetziges Tempo beibehielten, brauchten sie mit etwas Glück noch weitere zehn Tage bis nach Oren, mit Pech zwei Wochen. Sie mussten eine Verschnaufpause einlegen.
»War es schon mal so schlimm?« Lena ließ nicht locker. »Dass einem die Veränderten regelrecht nachstellen? Das ist der vierte in zwei Tagen.«
»Über die Gegend hier weiß ich nicht viel«, sagte er, während er Nathans Wunde verband. »Wenn ich von Rule aus Richtung Osten gezogen bin, waren wir immer eine große Gruppe mit Gewehren und Hunden. Nathan?«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Die Fußspuren und Knochenhaufen, die wir gefunden haben, sind alt. Wir sind auf kein einziges Gehöft und keine Gruppe von Überlebenden gestoßen, weder junge noch alte.«
»Vielleicht sind sie geflohen«, meinte Lena.
»Oder sie sind alle tot«, sagte Nathan. »Worauf ich hinauswill: Es gibt hier kein Frischfleisch, nirgends. Es sollten also gar keine Veränderten unterwegs sein. Was hat es dann mit diesem Leichenhaufen auf sich, den wir in der Schule gefunden haben?«
Au weia . An die Möglichkeit hatte er noch gar nicht gedacht. »Du meinst, es ist eine Art Lagerhaus, so was wie … wie eine Kühlkammer.«
»Genau das meine ich.« Von einem jähen Schmerz gepackt sog Nathan Luft ein, sodass gelbe Zähne und kittfarbenes Zahnfleisch zum Vorschein kamen. »Ich finde, das ist kein gutes Zeichen, was meint ihr?«
»Du glaubst, da sind noch mehr von der Sorte?« Lenas Stimme zitterte. »Und sie könnten jeden Moment auftauchen?«
»Wir haben keine frischen Spuren gefunden«, gab Chris zu bedenken. Das hier war eine Privatschule, die ganz für sich am Ende einer vierhundert Meter langen Zufahrt stand, und außer ihren eigenen Spuren war nichts zu sehen. Die Umgebung wirkte, als wäre das alles einmal Weideland gewesen. Abgesehen von einem Fußballplatz und schneebedeckten Tribünen gab es keine Anlagen, und der nächste Wald war fast einen Kilometer entfernt.
»Ich weiß nicht genug, um zu wissen, was ich glauben soll«, sagte Nathan.
Chris war ebenfalls ratlos. »Was meint ihr? Gehen oder bleiben?«
»Wir sollten bleiben«, sagte Lena. »Du hast selbst gesagt, die Fußspuren sind alt. Schaut euch das an.« Sie stupste mit der Stiefelspitze in den Schnee, eine feine weiße Wolke stob auf. »Letzte Nacht hat es wieder geschneit. Das ist alles frisch. Man sieht, dass wir als Einzige durchgekommen sind.«
»Ich bin auf beides nicht wild«, meinte Nathan, »aber wir waren in den letzten zwanzig Stunden praktisch ohne Pause unterwegs. Die Pferde sind erschöpft, und bis wir im Wald eine vernünftige Deckung gefunden haben, brauchen wir noch mal zwei, drei Stunden. Wenn die Tiere ausgeruht sind und der Mond einigermaßen Licht spendet, sieht die Sache anders aus.« Nach elf Tagen Reise bei mäßiger Verpflegung wirkte Nathan
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