Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
seine Ohren bedeckten.
»Ich bin nicht darauf aus, dich zu foltern.« Finn zeigte mit dem Kopf in Daveys Richtung. »Oder ihn oder einen von den anderen Chuckies. Ich gebe zu, oberflächlich betrachtet sieht es so aus. Aber wenn man jemanden foltert, kriegt man nur Lügen zur Antwort, denn jeder will, dass der Schmerz aufhört. Wir sind hier aber der Wahrheit auf der Spur. Wir untersuchen, wie sich Chuckies und Normale unter Selektionsdruck anpassen. Manchen Chuckies wie Davey gelingt es besser. Dass er dir an die Gurgel ging, zeigt eine neue Fertigkeit. Sie sind lernfähig.« Finn lächelte. »So wie du.«
Das stimmte. Daveys Methode war nicht exakt die gleiche gewesen wie Peters, als er Wendy erledigte, aber doch ähnlich. Nach zwei Runden mit dem Mädchen war ihm aufgefallen, dass sie Linkshänderin war und immer mit der Linken eröffnete. Also wartete er ab, berechnete, wann der Schlag kommen würde, duckte sich weg und knallte ihr dann mit der geballten Faust so gegen die Luftröhre, dass sie brach.
Er hätte genau da ein Ende machen, ihr schnell das Genick brechen können, und es wäre vorbei gewesen. Genau so hatte er einen schwabbeligen Jungen mit kaputter Zahnspange tags zuvor ins Jenseits befördert. Aber das hatte Finn nicht gefallen. Er hatte ihm nicht gesagt, warum, aber an dem Tag hatte Peter kein Wasser bekommen, und da war ihm klar geworden: Entweder war sein erster Schlag tödlich, oder er musste sich zurückhalten und der Natur ihren Lauf lassen.
Also ließ er Wendy langsam ersticken, drei sehr lange Minuten lang. Er schaute auch nicht weg, denn er fürchtete, das hätte ebenfalls seinen Preis. An diesem Tag bekam er sein Wasser und ein bisschen was zu essen, seither jedoch nichts mehr. Und dieser Kampf mit Davey war der erste gewesen, den er auch gut hätte verlieren können.
»Warum halten Sie mich am Leben?«, fragte er Finn.
»Das tue ich nicht.«
»Quatsch.« Peter versuchte zu lachen, aber es wurde nur ein heiseres Keuchen. »Die Wachen haben Davey rausgezerrt, bevor er mich endgültig erledigen konnte. Okay, Sie bringen mich nicht um, aber ich muss um Essen und Wasser kämpfen. Wenn ich nicht kämpfen kann, verdurste ich, oder einer von denen macht mir den Garaus. Also halten Sie mich am Leben. Warum?«
»Dann sag ich dir jetzt mal was, Peter.« Finn legte die Hände auf die Oberschenkel und richtete sich auf. »Das nächste Mal kämpfe nicht.«
»Was?« Peter starrte ihn an. »Wovon reden Sie? Wie kann ich denn nicht kämpfen?«
»Ganz einfach. Lass es einfach sein.«
Aber das war verrückt. Er musste kämpfen, das war seine einzige Chance auf Essen und Wasser. Vielleicht starb er, vielleicht nicht. Aber nicht kämpfen hieß mit Sicherheit sterben. Ein Veränderter würde ihn verfrühstücken – buchstäblich.
»Nicht kämpfen wäre Selbstmord«, sagte er. »Das ist keine Option.«
»Na ja, wenn du willst, dass es aufhört, ist es eine«, erwiderte Finn.
Sich selbst umbringen? Das hatte er noch nie ernsthaft erwogen. Wobei es ja nicht direkt Selbstmord wäre, wenn er zuließ, dass ihn einer dieser Jugendlichen in Stücke riss … oder doch? Nein. Selbstmord war eine Kugel im Kopf. Eine aufgeschlitzte Kehle. Der Hals in der Schlinge. Umgebracht zu werden war kein Selbstmord.
»Ich kann nicht einfach aufhören«, sagte er.
»Doch, das kannst du«, widersprach Finn. »Du hast die Wahl, oder nicht? Nicht kämpfen ist halt nur eine Alternative, die dir nicht gefällt. Du hast dir wie deine Vorfahren Vince aut morire auf die Fahne geschrieben. Sieg oder Tod.«
»Aber ich habe immer gekämpft«, sagte Peter – und dann kapierte er. »Genau das sollen sie lernen: Wie man kämpft, bis man gewinnt. Nicht aufzugeben. Sie wollen sehen, welche es lernen können .«
»Wusste ich doch, dass du ein kluges Köpfchen bist«, sagte Finn und wandte sich zum Gehen. Dabei stieß er mit dem Stiefel an die Feldflasche, die umkippte und auf den dreckigen Boden auslief. »Du siehst also: Nicht ich bin es, der dich am Leben erhält, Peter. Das bist du selbst.«
Aber Peter hörte nicht mehr zu. Er lag auf dem Bauch und schlabberte das Wasser wie ein Hund.
TEIL V
TÖTE ALLE FEINDE
66
V or zehn Tagen hatte Tom den ganzen Plan noch angezweifelt. Zum einen deshalb, weil er weder Weller noch Mellie über den Weg traute. Zum anderen, weil ihm bei der Vorstellung, dass er sich auf Wellers Gedächtnis und dessen Angaben zum Lageplan des Bergwerks verlassen musste, gar nicht wohl war. Wie der Alte
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