Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
wie das einer Fuchsstute. Er knurrte, und seine gefletschten Lippen entblößten ein strahlend weißes Gebiss.
Ihre Kehle krampfte sich zusammen. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen. Doch es kam nur ein ersticktes Stöhnen heraus, als würden zwei riesige Pranken ihren Brustkorb umklammern und zudrücken. Zaghaft machte sie einen halben Schritt zurück, blieb aber sofort stehen, als das tiefe Knurren lauter wurde.
Er wird mich umbringen. »B-bi-bitte«, keuchte sie. Daraufhin spitzte der Hund die Ohren, knurrte zögerlicher und etwas leiser. Ihr schien es, als wäre er verunsichert. »Bitte, la-lass m-mich g…«
»Miiinaaah.« Eine ferne Stimme, kein Singsang, aber jung. »Miiinaaah, wo bist du, Mädchen?«
Da hielt Miiinaaah oder Mina, oder wie der Hund auch heißen mochte, inne. Sie sah, wie das Tier einen Blick zurückwarf, woraufhin sie einen schnellen Schritt nach hinten machte und gleich noch einen. Der Hund wirbelte zu ihr herum, sodass sie einen Moment lang glaubte, er würde doch auf sie losgehen. Aber dann drehte er sich auf den Hinterbeinen um die eigene Achse und lief bellend in die Richtung davon, aus der die Stimme des Mädchens kam.
Geh . Sie machte auf den Hacken kehrt und rannte fort vom Weg, hinein in den Wald. Zweige schlugen ihr ins Gesicht, peitschten ihre Haut, zerrten an ihrem Haar. Geh, geh, hat er gesagt, lauf …
Der Wald hatte immer noch die Farbe von Blei, aber unter den Bäumen lag weniger Schnee, und sie kam hier besser voran. Hinter sich hörte sie, wie sich das Kläffen der Hunde veränderte, und da war auch wieder die Stimme. In diesem Moment wusste sie, dass sie ihn gefunden hatten. Vielleicht ließen sie sie jetzt in Ruhe. Vielleicht war sie nun in Sicherheit.
Lauf. Und dann: Lena, ich heiße Lena. Er heißt Chris, und er hat gesagt: Lauf, Lena, lauf.
Die kalte Luft kratzte in ihrer Kehle wie Glassplitter, doch sie hastete weiter, polterte, stolperte durch den Wald. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie wollte oder was sie jetzt tun sollte, aber sie war allein. Keiner würde sie sehen.
Ich bin ein Feigling. Wenn ich ein bisschen Mumm hätte, hätte ich mich erschossen oder ihm die Wahrheit gesagt und gefragt, was ich tun soll. Er hätte es getan.
Allerdings hatte sie vor dem Sterben genauso viel Angst wie neuerdings vor dem Schlafen. Denn was würde aus ihr geworden sein, wenn sie aufwachte?
Du bist immer noch du selbst. Sie entdeckte einen hellen Fleck, eine Lichtung im Wald, und spürte einen Ruck in ihrer Brust, als würde jemand mit einem Haken daran reißen. Sie schlug eine andere Richtung ein. Warum? Weil es vielleicht eine Straße war. War es das, was sie dachte? Natürlich. Wer sollte denn sonst in ihrem Kopf denken? Ihre Füße stampften hämmernd durch den Schnee. Da war bestimmt eine Straße, auf der würde sie noch schneller laufen können. Du bist immer noch du selbst, und du kannst das alles beenden.
Lügnerin. Sie duckte sich unter einem Gestrüpp aus ineinander verhedderten biegsamen Erlenzweigen durch, die ihr ins Gesicht klatschten. Das kannst du nicht, und das wirst du nicht. Du hast Angst vor dem Tod, weil danach nichts mehr kommt – da ist nichts mehr, und auch kein Gott.
Mit langen Sprüngen näherte sie sich der Lichtung und damit jenem gelblich-weißen Schimmer, der die Sonne war, die sich über den Horizont kämpfte und immer mehr die Oberhand gewann. Vielleicht würde das sie umbringen, wie in einem Film oder einem Buch. Puff! Nichts mehr übrig außer Asche und einem schattenhaften Brandfleck, wie dieser namenlose Japaner in Hiroshima: schwarz verkohlt auf geborstenem Beton in einer skeletthaften Stadtlandschaft aus verbogenem Eisen, zermahlenem Stein und nacktem Stahl. Himmel, wieso konnte sie sich daran erinnern, wenn ihr manchmal nicht einmal mehr ihr eigener Name einfiel?
Ich heiße Lena, ich bin Lena, und das kannst du mir nicht nehmen. Sie jagte durch den Schnee, stürmte durch Dickicht und Unterholz. Das lasse ich nicht zu, niemals …
Da verschlug es ihr den Atem, und sie blieb wie angewurzelt stehen.
Im schwachen perlmuttartigen Licht des anbrechenden Tages sah sie erst nur vier, aber sie spürte, dass links und rechts noch viel mehr sein mussten. Sie standen dort vor ihr, als die ersten blassen Strahlen in den schiefergrauen Himmel krochen und jeden von ihnen mit einem schimmernden Strahlenkranz umgaben, wie dunkle gefallene Engel.
Auch der Junge mit dem grünen Schal um den Hals.
Ihr Herz raste, und sie zitterte
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