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Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)

Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)

Titel: Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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verrückt. Und sie war nun mal nicht ihre Mutter.
    Eine Pause. »Ich weiß es nicht.« Sie hörte einen Anflug von Verwunderung heraus, als würde er über ihre Frage ernstlich nachdenken. »Wahrscheinlich, wenn ich es satt habe, dorthin zu starren. Das Problem ist … Ich bin noch nicht so weit, dass ich den Blick abwenden könnte.«
    Sie wusste, was er meinte. Bei Tageslicht war die Mine eine Delle in der Erde: eine sehr tiefe, zerklüftete Schwärze im Schnee, wie eine eitrige Blase, die geplatzt war. Der Geruch war zumindest nicht ganz so schlimm, denn der Wind stand günstig, und auf dem Wasser hatte sich eine frische Eisschicht gebildet. Mellie meinte, es seien zwei Seen dort entstanden, die wie unsymmetrische Augen in den Himmel glotzten. Es war ein Anblick, bei dem Leute, die zufällig vorbeikamen, normalerweise stehen bleiben würden: hässlich und gleichzeitig hypnotisch anziehend.
    Woran Cindi dauernd denken musste, waren die Leichen. Es musste Unmengen davon geben, aber sie hatte keine einzige auf dem Wasser treiben sehen. Vor langer Zeit hatte sie sich einmal einen Film über ein gesunkenes U-Boot angeschaut. Die krasseste Szene war die, als die Leichen wie Korken im Wasser dümpelten und ihre Haare sich wie Seetang hin und her bewegten. Wahrscheinlich waren dort auch etliche normale Leute umgekommen, unsichtbar unten in den Gängen. Sie wollte nicht nach ihnen suchen, aber der Gedanke an sie beschäftigte sie unablässig.
    »Ich versuche, einfach nicht daran zu denken«, sagte sie. »Meine Mom … Sie hat gesagt, dass alles Schlechte letztlich vergeht. Du musst nur an etwas anderes denken wollen , Tom.«
    Tom schien darüber zu sinnieren. »Dann ist das vielleicht mein Problem. Wenn ich aufhöre hinzuschauen, heißt das, dass ich aufhöre, sie anzuschauen. Ich denke, ich habe es schon sehr lange nicht mehr geschafft wegzuschauen. Vielleicht packe ich es nie.«
    »Es ist doch erst ein paar Tage her«, meinte Luke.
    »Nein, Luke«, entgegnete Tom. »Es ist schon viele, viele Monate her.«
    »Wovon sprichst du?«, fragte Cindi verdutzt.
    Er schwieg so lange, dass sie glaubte, er würde gar nicht mehr antworten, aber dann sagte er: »Afghanistan. Da war diese Schule. Eigentlich für Mädchen, aber die Leute hatten zu viel Angst, um ihre Kinder hinzuschicken, denn die Taliban, die Warlords, die Stammesführer … Sie wollen das nicht. Sie sind dagegen, dass Mädchen eine Schulbildung bekommen. Deshalb brennen sie Schulen nieder, nehmen sie unter Beschuss, bringen die Lehrer um. Die schrecken vor nichts zurück. Also sind wir dort einmarschiert und haben den Dorfbewohnern zugesichert, dass wir ihre Kinder beschützen und diese Schule unter allen Umständen geöffnet halten würden. Aber es kam anders.«
    »Oh.« Cindi warf einen flüchtigen Blick zu Luke, der nur den Kopf schüttelte, und wandte sich wieder Tom zu. »Was ist passiert?«
    »Sie haben sie in die Luft gesprengt.«
    »Du meinst, vom Flugzeug aus? Oder mit einer Panzerfaust?«
    Als Tom den Kopf schüttelte, fragte Luke: »Also ein Selbstmordanschlag oder so was?«
    »Ja.« Eine Pause. »Und nein.«
    »Ich vers…« Luke versagte die Stimme, und er musste sich räuspern. »Das verstehe ich nicht. Was denn nun?«
    »Weil«, fuhr Tom fort und drehte nun den Kopf zu ihnen, »sie die Bomben an Kindern festgeschnallt hatten. An zweien: einem kleinen Jungen und einem kleinen Mädchen.«
    »Oh.« Diesmal klang Cindis Ausruf nach einem entsetzten Stöhnen, und Kälte griff an ihr Herz. »O nein. Wie alt waren sie?« Mein Gott, kam es denn darauf an?
    »Ich weiß nicht. Nicht älter als sechs oder sieben. Der, der diese Bomben verdrahtet hatte, verstand was von seinem Geschäft. Mir blieb nicht genug Zeit, um beide zu entschärfen, aber das habe ich erst erkannt, als es schon fast zu spät war. Ich hatte vielleicht noch dreißig Sekunden oder so. Also musste ich mich entscheiden. Ich musste die Wahl treffen, w-welches Kind l-leben sollte und w-welches … « Schweigen. Dann wieder Toms Stimme, diesmal zorniger. »Sie haben mich gezwungen, die Entscheidung zu treffen, welches Kind es wert war, gerettet zu werden, versteht ihr?«
    »O mein Gott«, keuchte Luke, und Cindi hätte ihn am liebsten am Arm gepackt und angeschrien: Frag ja nicht, für wen er sich entschieden hat, frag das bloß nicht!
    »Ich sehe es jeden Tag vor mir«, hauchte Tom. »Ich träume davon, ich höre es, ich rieche es … die Hitze, die von den Felsen abstrahlt, und der Staub, und mein

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