Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
pulsierenden Mulde an seiner Kehle.
Und dann – keine Ahnung, warum – küsste sie ihn auch. Sie berührte einfach mit den Lippen seine Stirn, so wie ihr Daddy es früher getan hatte: Hab dich lieb, Kleines.
»Viel Glück«, sagte sie.
30
Es war reines Glück, sonst nichts. Das Klacken des Steins rief blitzartig den Soldaten in ihm auf den Plan und seine Reaktion war so instinktiv wie Atmen: eine rasche Gewichtsverlagerung, eine Drehung und gleichzeitig ein Rückhandschlag mit der Linken, sodass die Glock im steilen Winkel nach oben sauste, denn sein Ziel war ein Kinn oder eine Wange.
Daneben! Verdammt, er sah ja nicht einmal, was er treffen wollte. Der Chucky hatte sich direkt vor die untergehende Sonne gestellt und kam nun aus diesem toten Winkel auf ihn zu, um ihn mit einem Fußtritt anzugreifen. Alles, was Tom erkennen konnte, war ein grau-weißes Etwas mit zwei dunklen kreisrunden Flecken, während Chucky seine Bewegung vorausahnte und sich unter seinem Schlag wegduckte. Sein Drehmoment brachte Tom aus dem Gleichgewicht, und die Faust mit der Glock schwirrte ins Leere. Im nächsten Moment trat Chucky Tom hart in den Rücken und sprang auf ihn, sodass er bäuchlings nach vorn geschleudert wurde.
»Urg!« Die Atemluft schoss Tom aus der Kehle. Seine Arme schnellten vor, um den Fall abzubremsen, und er dachte: Roll zur Seite; stütz dich mit der Faust ab und dreh dich, du musst es auf die Seite schaffen! Wenn er mit dem Kopf voraus landete, wäre es ganz schnell aus mit ihm. Er sah sein Ende schon vor sich: Chucky kniete auf seinem Rücken und presste sein Gesicht in den tödlichen Schnee, bis er erstickte. Vielleicht hatte Chucky aber auch andere Pläne: Zuerst ein gezielter Faustschlag, um ihn zu betäuben, und dann würde Tom in seinen letzten dreißig Sekunden auf Erden nur mehr die Hände an die aufgeschlitzte Kehle pressen, aus der sein Blut in einer pulsierenden Fontäne herausspritzte. Und Chucky würde zuschauen und abwarten, bis sämtliches Blut aus seinen Lippen gewichen war. Zur Seite drehen, drehen, dr…!
Tom versuchte es mit aller Kraft, doch im nächsten Sekundenbruchteil geschahen zwei Dinge unmittelbar hintereinander: Er stieß mit dem rechten Fuß an einen verborgenen Stein, stolperte und sein rechtes Bein knickte ein. Chucky hatte ihn an den Hüften gepackt, und dieser kleine Patzer hätte ihm fast genügt, um Tom vollends zu Fall zu bringen. Aber Tom versuchte sich wegzudrehen, und obwohl Chucky alles andere als ein leichter Gegner war – er konnte Bewegungen vorausahnen und verstand es zu kämpfen –, hielt Tom immer noch die Glock in der Linken.
Die Pistole, Alex ’ Pistole, rettete ihm das Leben. Nicht weil er sie abfeuerte oder als Schlagwaffe verwendete, sondern weil seine Hand sie unerbittlich festhielt. Und eine geballte Faust ist stärker als eine flache, leere Hand.
Toms linker Arm fuhr tief in den Schnee, doch die Faust blieb geschlossen. Sein Ellbogen wurde nicht gestaucht, das Handgelenk nicht gebrochen. Dennoch tat es scheußlich weh, wie ein Blitz zuckte der Schmerz durch seine Knochen. Ächzend zwang sich Tom, die Arme kerzengerade zu halten. Einen kleinen Augenblick lang lastete sein eigenes Gewicht und das Chuckys auf ihm, schwer atmend verharrte er mit der Brust einige Handbreit über dem Schnee.
Dann verstrich der Moment, Tom sammelte sich und dachte: Ich habe eine einzige Chance.
Er zog das linke Knie unter den Bauch, drehte sich und ließ das Bein vorschnellen, legte all seine Kraft in diesen einen brutalen Tritt. Beim Aufprall seines Stiefels spürte er einen federnden Rückstoß in der Hüfte. Er musste Chucky am linken Oberschenkel erwischt haben, ein ganzes Stück über dem Knie.
Es war ein absoluter Glückstreffer. Mit einem Aufschrei brach Chucky links von ihm zusammen. Tom drehte sich nach rechts, stieß sich mit dem stärkeren linken Bein ab und befreite sich aus dem hemmenden Tiefschnee.
Er hielt immer noch die Glock in der Hand. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort hätte er sie vielleicht weggeworfen. Die Waffe taugte bestenfalls noch zum Zuschlagen, mit Fingern hingegen konnte man klammern, krallen, Augen auskratzen. Doch wenn er sich von der Pistole trennte – und Chucky sie womöglich in die Finger bekam –, musste er einkalkulieren, dass bei entsprechendem Druck auf den Abzugshahn vielleicht doch noch ein Schuss losging. Dieses Risiko durfte er nicht eingehen. Andererseits wäre das ein geschicktes Ablenkungsmanöver. Wenn er die
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