Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
Aufschrei regelrecht zurückschrecken ließ, war das Blut: wie sich öffnende scharlachrote Rosenknospen, und zwar überall dort, wo Hannah das Wundholz platziert hatte, nachdem sie es gesegnet hatte.
Das kann nicht sein. Die Wunden waren nicht mehr frisch und an den Rändern ausgerissen, sondern halb mit Narbengewebe bedeckt. Das ist doch nur ein Amulett, nur ein Stück Holz.
Chris zitterte so stark, als hätte er den Finger in eine Steckdose gesteckt. Sie riss das Leintuch von seiner Hüfte, dann von seinen bebenden Beinen. Chris hatte viele Verletzungen erlitten: Kratzer und kleinere Risse, Schnittwunden an beiden Handflächen, Einstiche an den Oberschenkeln. Der Todesstoß, die wahre Monsterwunde, die sein Schicksal besiegelt hatte, verlief quer durch seinen Körper und hatte zuerst sein Zwerchfell zerfetzt, von dem Hannah sagte, dass es zum Atmen wichtig war, dann seine Leber, die nichts weiter war als ein großer blutiger Sack, der leicht von einer gebrochenen Rippe aufgerissen werden konnte. Oder in Chris’ Fall von diesem Eisennagel an der schweren Tür. Keine Chance, die Blutung zu stoppen, nicht bei so einer schlimmen Verletzung. Chris hatte nur so lange überlebt, weil er jung und stark war.
Aber jetzt ist alles voll Blut. Diese schreckliche Wunde glitzerte wie das rote Auge des Seetauchers im Hochsommer – und trotzdem war sie von hellrosa Haut umrandet, die aussah wie frische Babyhaut. Das ist doch alles nur Hokuspokus, Zauberei gibt es nicht, so was gibt es nicht.
»Chris!« Ellie umfasste sein Gesicht und stellte erschrocken fest, dass seine Haut jetzt, da er mehr Luft bekam, sogar noch wärmer wurde und seine Wangen rasch an Farbe gewannen. »Chris, hörst du mich? Bist du …«
Auf einmal schlug er die Augen auf. Im selben Augenblick schossen seine Hände vor und ein paar Tropfen frisches Blut spritzten auf, als er sich an ihre Schultern klammerte. Es ging so schnell, dass ihr Schrei noch nicht einmal den Weg aus ihrer Kehle gefunden hatte, als er sprach.
»Hilfe.« Er stieß das Wort mit einem heftigen Keuchen hervor. Chris’ Augen, seine riesigen schwarzen Pupillen, bohrten sich in ihre – und für Ellie war es, als würde sie darin nichts und alles zugleich sehen.
»B-bitte«, stöhnte er wieder. »H-hilf mir.«
28
Auch wenn Tom in diesem Moment nicht ganz zurechnungsfähig war, wusste er doch, dass das nicht Alex’ Pistole sein konnte. Diese hier besaß schon mal keine zusätzliche Abzugssicherung, und Alex hatte eine Glock 22, eine Standardpolizeiwaffe mit einem 15-Schuss-Magazin, gehabt. Zudem war Alex eine Gefangene gewesen. Niemals hätten die Chuckies ihr die Pistole ihres Vaters gelassen.
Diese Waffe hier war kleiner, eine Glock 19, aber es passte ein größeres Magazin hinein. Er schätzte es auf insgesamt 19 Schuss. Allerdings konnte er das Magazin nicht rausnehmen oder auch nur den Schlitten nach hinten ziehen, um es nachzuprüfen, denn eine dünne Eisschicht umhüllte die Pistole wie die ausgehärtete Zuckerschicht eines altbackenen Donuts.
Sie ist nass geworden. Seine zerschundenen Hände waren steif vor Kälte, und ein Schauder lief ihm über den ganzen Körper. Zitternd klemmte er seine rechte Hand unter den linken Arm, um sie aufzuwärmen, und wankte zu dem toten Chucky zurück. Während er sich mit dem Hintern an einem Felsbrocken abstützte, zog er sich seinen Parka über, doch seine Hände zitterten so stark, dass er den Reißverschluss nicht zubekam und schließlich aufgab. Zuerst musste er seine Hände aufwärmen. Während er sich die Handschuhe anzog, blickte er zu dem östlich gelegenen Hang hinauf. Keine Frage: Die Glock lag in der Falllinie, entweder war sie von selbst heruntergerutscht oder ihr Besitzer hatte sie verloren, als er von der Lawine mitgerissen wurde. Also … hatte die Glock einem Chucky gehört? Das würde Sinn ergeben. Sieben waren den Hang heraufgestolpert, einen hatte er bereits gefunden. Und die Chuckies waren gerade erst aufgetaucht, als Luke und Weller ihn zum Gehen zwangen. Ob vorbereitet oder nicht, wenn man kein Kletteraffe oder ausgebildeter Army Ranger wie Weller war und wusste, wie man sich an einer Steilwand abseilt, hätte es eine ganze Weile gedauert, bis man Alex erreichte – wertvolle Zeit, die die Chuckies vielleicht nicht hatten. War es demnach nicht wahrscheinlicher, dass keiner von ihnen überlebt hatte und noch mehr Tote zu seinen Füßen begraben lagen? Bestimmt. Er hatte einen Skistock gefunden. Der tote Junge hatte
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