Ashford Park
Barbiepuppe, wenn man das Kunststoffgesicht zwischen die Finger nahm und drückte.
Diesmal jedoch suchte sie nach offenkundigen Anzeichen von Verschleiß und legte mit dem abgenutzten Stift in ihrer Tasche eilig Lipgloss auf. Wimperntusche? Davon hatte sie noch mehr über den Augen als unter ihnen. Das ging so. Der Wind hatte ihr genug Farbe in die blassen Wangen gepustet, um Rouge überflüssig zu machen. Unglücklicherweise hatte er gleichzeitig ihre Haare in die Widerspenstigkeit getrieben, sodass sie jetzt nach allen Seiten abstanden.
Das Problem hatte sie nicht gehabt, als ihre Haare noch lang gewesen waren; da brauchte sie sie nur hinten zusammenzunehmen und mit einer Spange hochzustecken oder mit einem Stirnband zurückzuhalten.
Wie lautete das Klischee? Beziehung gescheitert, Haare ab.
Sie hatte ihre letzte Woche kurz schneiden lassen, vorgeblich damit sie sich nicht ständig unter dem Riemen ihrer Schultertasche verfingen, und hatte sich dazu trotzig eine volle Stunde freigenommen, mitten am Tag. Und wenn schon, hatte sie sich gesagt. Sie hatte sechs Jahre lang praktisch tagein, tagaus in der Kanzlei gesessen, ihre Mahlzeiten am Schreibtisch eingenommen, notgedrungen selbst private Telefongespräche von ihrem Büro aus geführt und den Wechsel der Jahreszeiten nur hinter dicken Fensterscheiben erlebt. Wenn sie sich eine Stunde freinehmen wollte, um zu Fekkai zu gehen, hatte sie sich das verdammt noch mal verdient. Eine Stunde würde sie nicht gleich den Platz in der Partnerschaft kosten, für den sie so hart gearbeitet hatte und der zum Greifen nahe war. Während die Friseurin drauflosschnippelte, hielt Clemmie ihr BlackBerry auf dem Schoß und tippte mit zwei Fingern auf der Minitastatur.
Ihre Haare würden sich so einfacher pflegen lassen, hatte die Friseurin gesagt, aber die kurzen, feinen Strähnen schienen ihren eigenen Kopf zu haben, legten sich, wie sie wollten, und flogen ihr ständig in die Augen. Sie vermisste die Gewohnheit, die Haare zurückzubinden, das beruhigende absurde Ritual, sie zu büscheln und wieder auseinanderfallen zu lassen. Sie merkte, dass sie ständig nach Haaren greifen wollte, die nicht mehr da waren.
In der achten Etage öffnete sich die Aufzugtür vor einem kleinen Foyer mit Blumentapete in burgunderroter Seide und einem schmalen vergoldeten Tischchen unter einem ebenso schmalen goldgerahmten Spiegel. Ein Bronzetopf bot verirrten Regenschirmen Quartier. In der Mitte behauptete immer noch Grandpa Fredericks Spazierstock seinen Ehrenplatz. Clemmie streifte ihn sanft mit den Fingern. Der Griff war wie ein Terrier geformt. Grandpa Frederick hatte ihn zu ihrem schaurigen Entzücken immer jaulen und bellen lassen, wenn sie kam.
Grandpa Frederick war gestorben, als Clemmie sechs Jahre alt gewesen war, aber sie erinnerte sich noch an ihn, wenn auch nur vage, an sein faltiges Gesicht, das weiße Haar, das schiefe Lächeln und die krampfartigen Hustenattacken des lebenslangen Rauchers. Es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, dass er schon vor so langer Zeit gestorben war. Selbst als er nicht mehr da war, war er Clemmies ganze Kindheit hindurch immer präsent gewesen, wie Albert in Victorias Erinnerung immer da war. Granny Addies Wohnung war auch heute noch, nach dreißig Jahren, von seinem Geist erfüllt. Es gab Fotos von ihm, körnige Schwarzweißaufnahmen, auf denen er sich in den ulkigen Klamotten der 1920 er Jahre über die Sträucher auf ihrer Kaffeeplantage in Kenia beugte; spätere Bilder, glänzende Farbfotos, zeigten einen viel älteren Grandpa Frederick, mit Granny Addie, mit Kindern, mit Enkeln, in anderer, der jeweiligen Mode entsprechenden Kleidung.
Für Clemmie waren die beiden eine echte Inspiration. Sie hatten sich kennengelernt, als Granny Addie, wie sie es altmodisch ausdrückten, noch die Schulbank drückte, und hatten geheiratet, als sie ungefähr Mitte zwanzig war. Gemeinsam hatten sie eine kleine Farm in Kenia übernommen und daraus ein blühendes Kaffeeunternehmen gemacht. Die Firma war in den Siebzigern verkauft worden, von Maxwell House geschluckt, doch in den hinteren Fluren von Granny Addies Wohnung hingen noch überall alte Plakate, jetzt gerahmt, auf denen kenianischer Kaffee angepriesen wurde: FÜR DEN FEINEN GESCHMACK . Auf einigen war sogar eine jüngere Granny Addie zu sehen, selbstsicher und ungeheuer aristokratisch, in der einen Hand eine Kaffeekanne, Tasse und Untertasse in der anderen.
Die beiden waren so lange zusammen gewesen.
Selbst wenn
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