Assassino
zurück. Sie war pappsatt. Ausnahmsweise war sie sogar eher fertig geworden als Chris, der mit einem Rest Pommes kämpfte. Dann schob auch er den Teller von sich.
Kati zog sich die zerfetzte Jacke enger um die Schultern. Nachts wurde es erheblich kühl. Die meisten Gäste hatten deshalb auch schon den Heimweg angetreten. Außer ihnen saß nur noch eine kleine Reisegruppe ein paar Tische weiter, während die Kellner bereits die Salz- und Pfefferstreuer und die Ständer mit Essig und Öl einsammelten.
»Im Grunde waren die beiden ganz nett«, sagte Chris.
Kati gähnte. »Beschonders Scheamusch.«
»Aber bei dem hast du keine Chancen.«
»Ist sowieso zu alt für mich«, winkte Kati ab. »Ich bin siebzehn. Was soll ich mit einem Kerl, der dreißig Jahre älter ist als ich?«
»Gut, dass du mich darauf hinweist. Als dein gesetzlicher Vormund auf dieser Reise verordne ich dir jetzt Bettruhe.«
»Bähhh.« Kati verzog das Gesicht. »Bild dir nur nichts ein, bloß weil du mir sechs Jahre voraushast. Und außerdem hast du mir noch nicht erzählt, was deine Nachforschungen heute ergeben haben.«
»Es deutet einiges darauf hin, dass sich die Fibelscheibe im Besitz eines Adligen in Ragusa befunden hat. Nach der Eroberung der Stadt durch Napoleons Truppen scheint er sie dann, zusammen mit anderen Antiquitäten, an einen türkischen Händler verkauft zu haben, der sein Geschäft in Konstantinopel hatte. Dessen Kontorbuch können wir also nur in Istanbul finden – wenn es überhaupt noch existiert.«
»Istanbul!« Kati stützte den Kopf in die Hände. »Und ich dachte, wir könnten endlich nach Hause zurück.«
»Du willst zurück nach New York? Warum?«
»Warum! Warum!« Sie blitzte ihn an. »Weil ich ein Mädchen bin! Ich möchte gern in meinem eigenen Zimmer schlafen, in meiner eigenen Badewanne liegen, shoppen, mit Freundinnen über Kosmetik reden und mit ihnen tanzen gehen.«
»Aber du hast doch gar keine Freundinnen in New York«, wandte Chris ein.
»Das ist es ja!« Kati schlug auf den Tisch und hätte dabei fast ihr Colaglas umgeworfen. »Manchmal wünsche ich mir, ich wäre als ein kleines Dummchen auf die Welt gekommen. Dann hätte ich jede Menge Freundinnen, könnte die Männer mit großen Augen anhimmeln und mich auf Kosmetik und Klamotten konzentrieren.«
»Das wäre eine Vergeudung deiner Talente, und das weißtdu auch. Immerhin hast du nun mal einen Intelligenzquotienten von 198 Punkten.«
Kati lachte bitter. »Du klingst wie mein Vater.«
Er verzog beleidigt den Mund. »Ich weise dich bloß auf die Wahrheit hin.«
»Die Wahrheit ist, dass ich für meinen Vater das halbe Jahr um die Welt reise, und wenn ich dabei wirklich mal jemanden treffen sollte, der mir gefällt, dann nimmt er sofort wieder Reißaus, wenn er merkt, dass ich nicht nur eine Frau bin, sondern darüber hinaus auch noch was im Kopf habe.«
»Immerhin hast du mich.«
Kati hatte befürchtet, dass er so etwas sagen würde. Chris war in sie verliebt, das wusste sie bereits seit Italien. Er ließ es zwar nur selten anklingen, aber Kati wäre keine Frau, wenn sie das nicht gemerkt hätte. Doch obwohl sie ihn sehr gern mochte, war Chris für sie eher wie ein großer Bruder und niemand, in den sie sich verlieben konnte.
Andererseits: In wen konnte sie sich verlieben? Diese Frage hatte sie sich schon oft gestellt, ohne darauf eine Antwort zu finden. Bislang war ihr noch niemand über den Weg gelaufen, der in ihr ein Feuer entfacht hätte. Allerdings hatte sie in den letzten Monaten nahezu ausschließlich Archivare, Archäologen, Mönche und Museumsleiter getroffen, nicht gerade die passende Gesellschaft für ein siebzehnjähriges Mädchen.
»Du bist auch so ein Wunderkind, das mit siebzehn bereits sein Studium abgeschlossen hatte«, umschiffte sie das Thema. »Du bist genauso wenig ein normaler Mensch wie ich, und dein Sozialleben ist ebenfalls nicht der Rede wert.«
»Das ist unfair«, protestierte er. »Ich liebe meine Arbeit einfach mehr als irgendwelche Discobesuche.«
»Ach, komm schon«, winkte Kati müde ab. »Du bist ebenso ein emotionaler Krüppel wie ich, ob du’s nun zugibst oder nicht.« Sie schob den Stuhl zurück. »So, und jetzt will ich wirklich ins Bett.«
Chris wollte noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Nachdem er bezahlt hatte, gingen sie die Stufen zum Stradun herunter, dessen Pflaster im Licht der Straßenlaternen wie die Oberfläche eines Teiches im Mondschein glänzte. Es waren nur noch
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