Assassino
Sie war nicht weit vom Buniceva Poljana entfernt, dem Platz hinter der Kathedrale, und beschloss spontan, einen kleinen Umweg zu machen, um dort vielleicht auf Seamus zu treffen. Der Mann hatte ihr gefallen. Er war unbekümmert, aber nicht dumm, hatte Humor und verfügte zudem über ein erstaunliches historisches Wissen. Und außerdem wollte er nichts von ihr, was ihn zu einem angenehmen Gesprächspartner machte.
Tatsächlich saß er in einem der Straßencafés, die den Platz umgaben. Er trug ein makelloses schneeweißes Poloshirt und eine dunkle Leinenhose und las in einer internationalen Fachzeitschrift für Gemälderestauration.
»Darf ich mich setzen?«, fragte sie, als sie neben ihm stand.
Er blickte auf, und sofort breitete sich ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Kati! Welch eine freudige Überraschung.«
Er legte die Zeitschrift auf den Nachbarstuhl und machte eine einladende Handbewegung. Kati nahm neben ihm Platz.
»Was kann ich dir anbieten?« Er deutete auf das Glas, das vor ihm stand. »Auch eine Zitrone?« Frisch gepresster Zitronensaft mit Zucker war ein in Dubrovnik beliebtes Getränk. Kati nickte.
»Ich hoffe, dein Freund hat uns unseren kleinen Spaß gestern nicht zu übel genommen«, sagte er, während er nach der Kellnerin winkte.
»Überhaupt nicht. Chris kann hart austeilen, aber er kann ebenso gut einstecken.«
»Das beruhigt mich.« Er strich sich über den sorgfältig ausrasierten Ziegenbart. »Ihr beiden seid ein ungewöhnliches Team.«
Kati zog die Augenbrauen hoch. »Du meinst, weil wir so jung sind?«
»Das auch. Aber vor allem euer Auftrag. Man könnte ihn durchaus als ›esoterisch‹ bezeichnen.«
Kati nahm ihren Zitronensaft in Empfang und schüttete Zucker in das Glas. »Du meinst wegen Tages?«
Er nickte. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein etabliertes Museum damit etwas zu tun haben will.«
»Das ist ja auch der Grund, warum mein Vater Chris und mich losgeschickt hat«, erwiderte Kati, während sie umrührte. »Wir haben nicht so viele Vorurteile wie die alten Hasen.«
»Dein Vater muss eine Menge Geld haben … « Seamus führte den Satz nicht zu Ende.
»Hat er«, sagte Kati trocken. Sie hatte schon lange gelernt, so selbstverständlich wie möglich mit der Tatsache umzugehen, dass ihr Vater Milliardär war. Allerdings nur bei Menschen, denen sie traute. Und Seamus traute sie instinktiv.
»Und sein Hobby ist etruskischer Schmuck?«
»Im Augenblick ja. Im nächsten Monat eröffnet die Bergman-Stiftung eine Ausstellung über die Etrusker. Alles, was noch fehlt, ist die Fibelscheibe.«
»Ein gründlicher Mann, dein Vater, ich bewundere das.« Seamus nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Und offenbar ein Perfektionist.«
Kati lachte. »Ja, das ist er. Er wird gar nicht glücklich darüber sein, dass wir nichts herausgefunden haben.«
Seamus beugte sich vor. »Kein Hinweis auf die Fibelscheibe?«
»Leider verlieren sich hier die Spuren. Es sei denn, Chris hat heute etwas entdeckt, was ich allerdings bezweifle.«
»Hmmm.« Seamus lehnte sich zurück. »Es gibt einen Sammler hier in Dubrovnik, der sich auf alte Listen und Kauffahrtsdokumente spezialisiert hat. Er hat eine der bemerkenswertesten Kollektionen, die ich je gesehen habe. Vielleicht findest du da ja die Hinweise, die du suchst.«
»Hast du seine Adresse?«
Der Ire nickte. Er winkte der Kellnerin und bat sie, ihm Papier und einen Stift zu bringen.
»Die Leute hier sprechen ein ausgezeichnetes Englisch«, bemerkte Kati.
»Kein Wunder«, lachte Seamus. »Wusstest du nicht, dasssich Dubrovnik fest in irischer Hand befindet? Die ersten Touristen, die nach dem Ende des Bürgerkriegs wieder hierherkamen, waren die Iren. Weiß der Teufel, warum. Jedenfalls verliebten sich viele von ihnen in die Stadt. Damals waren die Preise für Häuser lächerlich niedrig, und so kauften sie sich hier ein und eröffneten Bars, Cafés, Restaurants, Buchläden, Pensionen und andere Geschäfte.«
»Du auch?«
»Leider nicht.« Er zog die Mundwinkel nach unten. »Ich bin erst später hergekommen, und da waren die Häuser nicht mehr zu bezahlen. Aber wenigstens kriege ich hier ein ordentliches Guinness, wenn ich mal Durst darauf habe, und kann jederzeit die vertrauten Klänge meiner Muttersprache hören.«
Inzwischen hatte die Kellnerin einen Block mit Kugelschreiber auf den Tisch gelegt. Er notierte einen Namen und eine Anschrift. »Sag dem alten Branko, dass Seamus Quinlan dich geschickt hat. Er ist
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