Assassino
wenige Touristen unterwegs. Sie verließen die Altstadt durch das Pile-Tor und stiegen in eins der wartenden Taxis, um sich nach Lapad bringen zu lassen, wo Katis Vater für sie eine Villa gemietet hatte.
Der Fahrer drehte auf dem Platz vor dem Tor, und als Kati aus dem Fenster einen Blick zurückwarf, sah sie eine Gestalt, die sich in den Torbogen drückte. Das Gesicht war nicht mehr als ein blasser Fleck, aus dem zwei rot glühende Punkte sie anstarrten. Sie presste sich unwillkürlich tiefer in den Sitz und nahm den Kopf nach hinten. Dann waren sie schon auf der Straße nach Lapad, und als sie aus dem Rückfenster sah, war die Gestalt verschwunden.
Kati seufzte. Erst flüchtete sie vor Verfolgern, die es nicht gab, und jetzt sah sie auch noch Monster mit roten Augen. Sie sehnte sich nach ihrem Bett.
Dann würde dieser Tag endlich vorbei sein.
Unheimliche Begegnung
1.
Kati sah Seamus schneller wieder, als sie gedacht hatte.
Am nächsten Morgen waren die bösen Ahnungen des Vortags verschwunden, und als sie sich mit Chris zum Frühstück auf der Terrasse der Villa traf, von der man einen herrlichen Blick auf die tiefblaue Adria hatte, war sie schon wieder voller Tatendrang. Auch Chris erwähnte die Ereignisse des gestrigen Tages mit keinem Wort.
»Wir sollten uns heute vergewissern, dass die Fibelscheibe tatsächlich nicht mehr in Dubrovnik ist«, schlug er vor. »Ich werde noch mal ins historische Museum fahren. Vielleicht entdecke ich ja zufällig irgendwelche Handelsbücher aus jener Zeit.«
»Und ich habe einen Termin im Franziskanerkloster gemacht.« Kati packte ihr Notizbuch und ihren Digitalrekorder in ihre Tasche. »Aber heute Abend bitte keine Cevapcici.«
Chris lachte. »Meinetwegen. Wir könnten irgendwo an der Promenade von Lapad essen.«
Die Bucht von Lapad, die unterhalb der Villa lag, war ein beliebtes Touristenziel. An einen kleinen Strand schloss sich eine gepflasterte Promenade an, zu deren Seiten sich ein Restaurant an das nächste reihte.
»Das sagst du nur, weil da so viele hübsche Mädchen herumlaufen.«
Chris warf ein Stück Toast nach ihr, das noch auf seinem Teller lag. Kati duckte sich grinsend weg. »Warum sollte ich daran interessiert sein?«
»Weil du ein Mann bist und in den besten Jahren.«
»Ha. Ha. Ha«, sagte er betont langsam.
Kati hob das Toaststückchen auf und legte es auf den Tisch zurück. Sie wusste, welche Probleme ihr Freund mit dem anderen Geschlecht hatte. Und das lag nicht unbedingt an ihm.
Sie blickte ihn an. Chris hatte eine etwas zu spitze Nase, einen etwas zu breiten Mund, eine etwas zu hohe Stirn und etwas zu große Ohren, die sich durch die darüberfallenden Haare hindurchdrängten. Sein ganzes Gesicht wirkte dadurch asymmetrisch, aber auf eine gewisse Weise auch faszinierend, zumal seine Lippen meistens zu einem freundlichen Lächeln gekräuselt waren. Er war stets zu einem Scherz oder einem sarkastischen Spruch aufgelegt, und das war es vielleicht auch, was ihn noch immer Single sein ließ. Die meisten Menschen, das hatte Kati früh festgestellt, besaßen nicht viel Humor und konnten schon gar nicht über sich selbst lachen. Das engte die Auswahl für ihren Freund massiv ein, und von denen, die übrig blieben, waren fast alle eingeschüchtert durch seine hohe Intelligenz, die ihrer in nichts nachstand.
Nachdem sie den Frühstückstisch abgeräumt hatten, machten sie sich auf den Weg. Weil Chris nie Auto fuhr, wenn er Alkohol getrunken hatte, hatten sie ihren Mietwagen gestern in der Stadt stehen gelassen und fuhren mit dem Taxi. Chris setzte Kati am Pile-Tor ab, und sie verbrachte die nächstenfünf Stunden damit, muffige Folianten im Lesesaal des Klosters zu studieren.
Am späten Nachmittag gab sie die Suche auf. Ohne konkreten Hinweis konnten sie genauso gut nach Hause zurückkehren, denn nur auf Verdacht hin weiterzusuchen, wäre nur Zeitverschwendung, zumal ihr Vater die Eröffnung der Ausstellung bereits für den kommenden Monat angekündigt hatte.
Sie holte sich in einer Bäckerei ein belegtes Brötchen, das sie auf den Stufen einer Kirche vertilgte. Die bösen Vorahnungen, die sie gestern gehabt hatte, waren nicht zurückgekehrt, und auch nicht das Gefühl, beobachtet zu werden. Es war wohl doch nur eine Folge von Übermüdung gewesen. Sie hatte in der letzten Nacht lang und gut geschlafen, und schon beim Aufstehen hatte sie deutlich gespürt, wie gut ihr das getan hatte.
Kati sprang auf und warf ihre Serviette in einen Mülleimer.
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