Assassino
ein wenig misstrauisch und lässt nicht jeden rein.«
Kati zog ihren Stadtplan aus der Tasche, um nach der Adresse zu suchen. »Das ist nur ein paar Minuten von hier, auf der anderen Seite des Stradun«, unterbrach Seamus sie. »Es ist die Gasse, in der sich auch die Synagoge befindet.«
»Da war ich schon mal«, nickte Kati. »Ist dieser Sammler auch ein Ire?«
»Nein, nein, er ist ein echter kroatischer Gentleman der alten Schule. Man munkelt, er stamme als einer der wenigen Einwohner noch von den alten adligen Familien ab, die sich selbst ausgelöscht haben.« Als er Katis fragenden Blick sah,fuhr er fort: »Nachdem Napoleons Truppen die Stadt eingenommen hatten, begriffen die adligen Familien, dass dies das endgültige Aus für den Stadtstaat Ragusa bedeutete. Sie fassten den Entschluss, sich nicht mehr fortzupflanzen, um so mit der Unabhängigkeit ihrer Stadt unterzugehen.«
»Und? Haben sie das durchgehalten?«
»Ein Leben ohne Sex ist schwer, obwohl sie ja in unsere Fraktion hätten wechseln können.« Seamus zwinkerte ihr zu. »Aber auf die Idee sind sie nicht gekommen. Statt mit anderen Adligen, vergnügte man sich zukünftig mit dem gemeinen Volk, denn ganz enthaltsam konnte oder wollte man nun doch nicht leben. Allerdings starben die reinrassigen Adligen in der Tat aus, und die Nachkommen der von ihnen mit Bauernmädchen oder Bürgerlichen gezeugten Kinder wissen oft nichts über ihre Herkunft.«
»Dieser Branko aber schon?«
»Zumindest behauptet er es. Ich würde ihn ja anrufen und deinen Besuch ankündigen, aber er hat kein Telefon und lebt auch sonst in seiner eigenen Welt. Sprichst du Kroatisch?«
»Genug, um mich verständlich zu machen.« Das Sprachenlernen fiel Kati leicht, und meistens reichten ein paar Stunden und sie hatte die Grundlagen der Grammatik begriffen. Danach war es nur noch eine Frage der Vokabeln.
»Sehr gut.« Seamus warf einen Blick auf seine Uhr. »Um diese Stunde dürfte Branko auch noch ansprechbar sein.«
»Vielen Dank.« Kati sprang auf.
»Gern geschehen. Und wenn er dir weiterhilft, dann gibst du mir einen aus, ja?«
»Abgemacht.« Kati nahm den Zettel mit der Adresse vomTisch und lief in Richtung Rektorenpalast. Sie überquerte den Platz davor und bog vom Stradun in die Gasse ein, in welcher der alte Sammler lebte. Den Hausnummern nach musste sich sein Haus ganz oben befinden. Sie zog ihr Telefon heraus und rief Chris an, um ihm zu erklären, dass sie etwas später kommen würde als geplant. Er nahm das Gespräch nicht an. Also befand er sich wahrscheinlich noch im Kloster. Sie sprach auf seine Mailbox.
Vor jedem Haus standen Tongefäße mit Blumen. Der Aufstieg war wie ein Gang durch einen botanischen Garten. Ein schwerer, süßlicher Duft erfüllte die Luft. Hier und da baumelten Bettlaken und Wäsche an dünnen Leinen über ihrem Kopf. Irgendwo klapperte Geschirr.
Sie warf einen Blick auf den Zettel, den ihr Seamus gegeben hatte. Manche Gebäude trugen keine Hausnummer, bei anderen war sie von Ranken verdeckt oder vom Alter ausgebleicht. Nach einigem Suchen fand sie schließlich das richtige Haus. Sie nahm noch einen Schluck aus ihrer Wasserflasche und strich sich über die Haare.
Dann trat sie entschlossen auf die Tür zu.
2.
Kati suchte vergeblich nach einer Klingel. Schließlich klopfte sie gegen die Tür, zunächst eher zaghaft und dann, als niemand aufmachte, etwas fester. Sie wollte gerade schon wieder gehen, als sie ein Geräusch im Haus hörte. Wenig später öffnete sich die Tür einen winzigen Spaltbreit und zwei kleinegraue Augen unter einer weißen Haarmähne starrten sie misstrauisch an.
»Ja?«, fragte der Mann, der Branko Tadic sein musste, ungehalten auf Kroatisch.
»Seamus schickt mich«, sagte Kati schnell, bevor er die Tür wieder schloss. »Er meint, Sie könnten mir helfen.«
»Seamus!« Der Alte stieß ein meckerndes Lachen aus, das in einem Hustenanfall endete. Aber er zog die Tür ganz auf. »Kommen Sie rein.«
Sie folgte ihm durch einen schmalen Flur in ein dunkles Zimmer, das mit schweren Holzmöbeln vollgestopft war und in dem es muffig roch. Der Alte winkte sie zu einem Plüschsessel und nahm ihr gegenüber auf einem ähnlichen Monstrum Platz. Kati musterte ihn. Er trug eine graue Strickjacke, die ein paar Nummern zu groß für ihn war, und darunter ein weißes Hemd mit gelb angelaufenem Kragen. Seine Hose war schwarz-weiß gestreift und hatte, wie die Pantoffeln an seinen Füßen, schon bessere Zeiten gesehen.
Der Alte
Weitere Kostenlose Bücher