Emma will’s wissen
[zurück]
1 . Kapitel
Alles hat seine Zeit (oder auch nicht)
A lles hat seine Zeit, sagt meine Oma immer. Ich finde, da ist was dran. Vor dem Venezia sitzen und Eis essen macht nur im Sommer Spaß. Dafür kann man im Winter prima heißen Kakao trinken und Waffeln mit Sahne futtern. Der Sonntagvormittag ist die beste Zeit, um in der Hängematte zu liegen und zu faulenzen – und eindeutig die falsche Zeit, um sein Zimmer aufzuräumen. Für Schokolade ist immer die richtige Zeit, für Mathehausaufgaben nie. Nur um ein paar Beispiele zu nennen. Leider hält sich Oma selbst nicht an ihren Spruch. Stellt euch vor, sie will doch tatsächlich heiraten! Dabei ist sie schon über sechzig! Ist das etwa die richtige Zeit für eine Hochzeit? Nein! Aber auf mich hört ja keiner. Hochzeitspaare sollten jung und verliebt sein. Meine Oma und Pfarrer Pauli sind alt, aber verliebt sind sie trotzdem. Immerhin etwas.
Pfarrer Pauli ist übrigens der Mann, den meine Oma heiraten will. Er ist eigentlich ganz nett – aber eben auch schon ziemlich alt. Und er ist der Pfarrer unserer Kirchengemeinde. Oma war erst ganz lange mit meinem Opa verheiratet. Ich glaube, ungefähr dreißig Jahre. Dann ist Opa gestorben. Eine Weile war Oma sehr traurig, aber dann hat sie ganz viele Reisen gemacht und die halbe Welt gesehen. Sie war schon in Amerika, Kanada, Brasilien, Afrika und auf Mallorca. Und von überall hat sie mir Postkarten für meine Sammlung geschickt. Unterwegs hat sich Oma ständig in irgendwelche Männer verliebt. Zum Beispiel in Carlos, einen Bauern auf Mallorca. Aber es war nie etwas Ernstes. Bis sie zu uns gekommen ist und Pfarrer Pauli getroffen hat. Wir sollen ihn jetzt Gerhard nennen, aber daran muss ich mich erst noch gewöhnen.
Eigentlich wollte Oma nur ein paar Wochen bei uns bleiben und Mama ein bisschen helfen, als Papa kurz vor den Sommerferien ausgezogen ist. Meine Eltern hatten einen riesigen Krach. Danach brauchten sie eine Beziehungspause. Kein Mensch weiß, wie lange so was dauert. Leider. Papa wohnt jetzt in einer WG in Dederstadt. Aber er und Mama sind immer noch verheiratet. Und Oma ist viel länger geblieben als geplant. Jetzt bleibt sie wahrscheinlich für immer in Tupfingen.
An einem Samstag im November war es so weit: Oma und Pfarrer Pauli feierten ihre Verlobung. Es war übrigens derselbe Tag, an dem die Sache mit Herrn Marten begann, aber davon erzähle ich später. Immer schön eins nach dem anderen (das ist auch einer von Omas Sprüchen).
Die Verlobung sollte im kleinen Kreis stattfinden, wie Oma sagte. Doch so klein war der Kreis gar nicht. Eigentlich war es auch kein Kreis, sondern ein Rechteck. Wir saßen nämlich alle an dem großen Tisch in unserer Küche: Oma und Pfarrer Pauli natürlich, ich, mein Zwillingsbruder Tim, mein älterer Bruder Klaus, Rudi (das ist mein Vater) und Gesa mit Mona Lisa. Gesa ist Mamas beste Freundin. Mona Lisa ist ihre Tochter. Weil ich den Namen so blöd finde, nenne ich sie nur Mona. Früher habe ich immer »Nebelkrähe« zu ihr gesagt, aber das mache ich jetzt nicht mehr. Inzwischen sind wir so was wie Freundinnen geworden und seine Freundin nennt man nicht Nebelkrähe (auch wenn Mona mit ihren hässlichen Kartoffelsackkleidern manchmal immer noch wie eine aussieht). Gesa und Mona wohnen bei uns, seit Papa ausgezogen ist. Mama sagt, wir könnten uns das Haus sonst nicht leisten. Eigentlich komisch – Papa ist ausgezogen, dafür sind Oma, Gesa und Mona eingezogen. Kein Wunder, dass es manchmal ganz schön eng bei uns ist.
Aber ich wollte ja eigentlich von Omas Verlobung erzählen. Oma hatte einen Brunch vorbereitet. Man spricht das »Bransch« aus. Ich wusste nicht, was ein Brunch ist, bis Tim es mir erklärt hat. (Tim ist besser in Englisch als ich. Eigentlich ist er in allen Fächern besser, außer in Sport.) Ein Brunch ist eine Mischung aus Mittagessen und Frühstück. Man könnte also auch »Frittagessen« sagen. Oder »Mittag-stück«. Das versteht nur kein Mensch.
Ich hatte Oma bei den Vorbereitungen geholfen. Zusammen mit Gesa und Mona. Es gab lauter leckere Sachen: Fleischbällchen, Schokoladenkuchen, Erdbeertörtchen, Waf-feln mit Sahne, rote Grütze mit Vanillesoße, kalten Schweinebraten, Heringssalat, Nudelsalat, Kartoffelsalat und Brot, Butter, Wurst und Käse. Natürlich war alles aus Öko-Bio-zutaten selbst gemacht. Gesa hat einen totalen Bio-Tick. Dummerweise hat sie Mama und Oma damit angesteckt. Seit Gesa und Mona bei uns wohnen, essen wir nur noch
Weitere Kostenlose Bücher