Astrella 02 - Brudernacht
es mit Sandra eine Brücke zu dieser Vergangenheit. Astrella würde nie die Kraft haben, diese Brücke abzureißen. Irgendwann würde er all das seiner Tochter schreiben. Es ihr in einem Gespräch sagen zu können, bezweifelte er. Aber unter Umständen würde jetzt, wo es Anne Griesner in seinem Leben gab, auch alles anders. Ein Stich fuhr durch sein Herz. Anne war für drei Wochen in Urlaub gefahren. Allein. Sie wollte sich Klarheit über ihre weitere Zukunft verschaffen.
»Also, ruf mich bitte auch nicht an, Louis.«
»Wieso, Anne? Ich versteh’ dich nicht«, hatte er hilflos reagiert. »Ich dachte, du liebst mich.«
Anne hatte keine Sekunde lang gezögert.
»Ja, Louis, ich liebe dich. Und gerade deshalb möchte ich mir sicher sein, dass mein Entschluss richtig ist. Immerhin verändert sich alles in meinem Leben, wenn ich hierherziehe. Bisher war ich das Alleinsein gewöhnt, meine Arbeit und das ganze Drumherum. Wir …«
»Aber …«
»Verlange ich zuviel von dir?«
Als sie das gefragt hatte, waren ihm zahlreiche Fehler durch den Kopf geschossen, die er, rückblickend, in seiner Zeit mit Gloria begangen hatte. Also hatte er nur müde seinen Kopf geschüttelt.
»Danke, Louis.«
Während er den Brief in den Umschlag zurücksteckte, klingelte es erneut. Astrella schaute automatisch auf die Küchenuhr: Kurz nach halb zwölf. Heute war Samstag. Er erwartete niemand.
Vor ihm stand eine alte Frau, die ihn überhaupt nicht wahrzunehmen schien; ein verträumtes Lächeln lag auf ihrem Gesicht.
»Ja, bitte?«
Die Frau zuckte zusammen und schien sich erst orientieren zu müssen. Astrella ließ ihr Zeit.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ich benötige Ihre Hilfe.«
Astrella überlegte instinktiv, welches Altersheim am nächsten lag, aus dem sie kommen könnte.
»Meine Hilfe? Haben Sie sich verlaufen?«
»Aber nein, wo denken Sie hin? So alt bin ich nun auch noch nicht, dass ich nicht wüsste, wohin ich gehe und was ich möchte.«
»Sicher, entschuldigen Sie bitte. Aber ich kenne Sie nicht.«
»Oh, das wird sich ändern. Sie sind doch Herr Astrella, nicht wahr?«
Die Frau mit dem ehrlichen Gesichtsausdruck musste mindestens um die siebzig Jahre alt sein. Der Eindruck, dass sie in letzter Zeit häufig geweint hatte, passte nicht ganz zu dem entschlossenen Blick in ihren grünblauen Augen.
Obwohl Astrella von Anfang an das Gefühl hatte, dass sie sich nicht einfach abweisen lassen würde, hatte er die Frau erst eintreten lassen, als sie ihn beinahe flehentlich um ein Gespräch gebeten hatte. Unsicher war sie anschließend in seinem Wohnzimmer gestanden, bis er sie zum dritten Mal aufgefordert hatte, doch Platz zu nehmen.
»Außerdem bekommen Sie sonst eine Genickstarre, wenn Sie ständig zu mir hochschauen müssen. Und ich werde mich selbstverständlich nicht hinsetzen, solange sie stehen.«
Das hatte gewirkt; mit einem erleichterten Lächeln hatte sie ihm seine Aufmerksamkeit gedankt. Nun saß sie auf dem Sofa und Astrella wusste nicht mehr von ihr, als dass sie Klimnich hieß und wegen ihres Mannes zu ihm gekommen war.
»Josef ist vor zehn Tagen ermordet worden. Und mit ihm Fips, unser Pudel. Haben Sie in den Zeitungen davon gelesen, Herr Astrella?«
Astrella brauchte nicht lange zu überlegen; die Schlagzeilen waren ihm noch gut in Erinnerung.
»Ja, ich meine etwas gelesen zu haben.«
»Nun, Herr Astrella: Ich möchte, dass Sie mir helfen, den Mörder meines Mannes zu finden!«
Louis sah ihr an, wie schwer ihr diese Bitte gefallen war und wie froh sie war, es hinter sich gebracht zu haben. Freilich saß sie offensichtlich dem Irrtum auf, dass er ein Detektiv war. Wer sie darauf gebracht haben könnte, war ihm schleierhaft. Er sagte ihr das auch ohne Umschweife.
»Nein, nein, so ist das nicht«, entgegnete die Frau mit den silbergrauen Haaren. Astrella musterte sie streng, überlegte, ob sie durch den Tod ihres Mannes möglicherweise in eine Krise geraten war. Aus seiner Zeit beim Morddezernat waren ihm derartige Fälle noch gut in Erinnerung. Morddezernat! Das war die wichtigste Station einer erfolgreichen Laufbahn gewesen, die ihn zum jüngsten Leiter dieses Dezernats in Frankfurt gemacht hatte.
»Sie sind mir von Herrn Eck empfohlen worden, der Sie wohl kennt.«
Astrella schaute sie zweifelnd an. Er konnte keinen Grund erkennen, warum sein Freund das getan haben sollte. Andererseits gab es keinen Grund für die Annahme, dass Frau Klimnich das einfach nur so behauptete.
»Ja, ich
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