Astrella 02 - Brudernacht
billiger Preisklasse zu sehen. An einer der beiden Schubladen fehlte der Griff, aus der anderen lugte ein Fetzen roten Stoffs. Eine Gardine brach das Licht und tupfte dunkle Punkte an die Wand, ähnlich der Linse eines Diaprojektors, vor die ein Sieb oder Gitter gehalten wird.
Dieser Fleckenteppich entfiel bei dem benachbarten zweiten Fenster, das ebenfalls durch das aufgrund eines Wackelkontakts blinkende Licht einer Straßenlaterne angeleuchtet wurde. Im hinteren Teil des Zimmers hatte jemand eine Ausziehleiter an die Wand gelehnt, deren beide obere Sprossen dunkle Flecken aufwiesen. Direkt daneben war die Wandgarderobe angebracht; von den vier Haken fehlten zwei, bei einem dritten war die Rundung abgebrochen. Auch hier fehlten Teile der Tapete.
Fortwährend geisterten Lichtflecken von Scheinwerfern vorbeifahrender Autos durch den Raum. Sie waren genauso deutlich zu sehen, wie die an-und abschwellenden Motorengeräusche zu hören waren. Manchmal spazierten auch unförmige schwarze Kugeln durch die beiden Lichtquadrate, die den Raum erhellten. Sie stammten von vorbeigehenden Passanten. Nie jedoch blieb einer dieser Schatten stehen, stets waren sie spätestens beim erneuten Aufflammen der Straßenlaterne aus den Quadraten verschwunden.
Die beiden Menschen in dieser Bude ließen sich von alldem nicht stören. Micha, ein schlaksiger Jeans—
träger mit blauen Augen und schwarzgefärbten Haaren, hatte soeben Maxi auf die aufgeklappte Bettliege plumpsen lassen. Maxi war Michas neue Freundin. Erst am Abend hatte er sie im ›Aladin‹, einer weit über Ravensburg hinaus bekannten Diskothek nahe dem Bahnhof, kennengelernt. Jedoch hatte das bei Micha nichts zu bedeuten, denn er machte seine neuen Bekanntschaften bedenkenlos und ohne Umschweife zu seinen neuen Freundinnen, um sie dann ebenso bedenkenlos und schnell in den Stand der ›Ex-und-hopp-Tussi‹ zu befördern. Gleichwohl hatte er Maxi routiniert weisgemacht, dass mit ihr endlich die Frau in sein Leben getreten sei, auf die er seit seiner Geburt vor fünfundzwanzig Jahren gewartet habe. Maxi hatte daraufhin nur gelacht und erwidert, dass er sie auch ohne sein Gesülze haben könne und sie nicht vorhabe, die nächsten fünfundzwanzig Jahre mit ihm zu verbringen. Also würde Maxi ihm dieses ›Ex-und-hopp-Spiel‹ nicht übelnehmen, dessen war sich Micha sicher. Er hatte sofort erkannt, was für ein durchtriebenes Luder sie war. Sie selbst war es auch gewesen, die seine Frage nach der Herkunft ihres Spitznamens mit einer eindeutigen Bewegung zu ihren Brüsten beantwortet hatte, die von einem tiefe Einblicke gewährenden knallroten T-Shirt eng umschlungen wurden. Von dieser Zwangsjacke hatte Micha sie inzwischen befreit, während er immer wieder in ihr volles langes Haar griff, das sich in wilder Unordnung dunkel vom schmuddeligen Weiß des Kopfkissens abhob.
Währenddessen nestelte Maxi heftig an der Gürtelschlaufe und dem Reißverschluss von Michas engsitzenden Jeans herum. Sie selbst hatte die ihrige noch vor dem T-Shirt ausgezogen, so dass sie nur noch einen Stringtanga anhatte. Bis auf gegenseitige lustvolle Beschimpfungen mit Ausdrücken und Bezeichnungen, die sich der Einrichtung anpassten, war nichts zu hören.
Nach weiteren erfolglosen Bemühungen Maxis, endlich das energisch nach außen drängende Geheimnis von Micha freizulegen, bequemte sich dieser aufzustehen und mitzuhelfen. Gleich darauf lagen sie wieder aufeinander, beide nun völlig nackt. Von ihrer Leidenschaft gefangen, nahmen sie die sechs Kugelschatten in den beiden Lichtquadraten überhaupt nicht wahr, die dort verharrten.
Micha und Maxi waren kurz vor dem erfolgreichen Ende des ersten Teiles dieser Nacht, als plötzlich ein wuchtiger Schlag gegen die Tür erfolgte. Bevor sie diesen richtig wahrnehmen konnten, wurde die Tür bereits krachend aufgestoßen. Unmittelbar danach flammten die beiden einzigen noch funktionierenden Glühbirnen der billigen, fünfstrahligen Deckenlampe auf, von deren gelbem Lampenschirm die Hälfte fehlte.
»He – äh – was soll das?«, stammelte Micha, sich geblendet die rechte Hand vor die Augen haltend, während Maxi unwillkürlich zum nächstbesten Kleidungsstück gegriffen hatte, das sie sich vor ihren Busen hielt. Sie gab keinen Ton von sich, schien eine derartige Situation nicht zum ersten Mal zu erleben.
»Sittenpolizei! Hände hoch, aber dalli!« brüllte einer der sechs Eindringlinge. Zwei davon waren Frauen. »Wir haben Sie gerade dabei
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