Astrella 02 - Brudernacht
kenne Herrn Eck. Aber mir ist nicht so recht klar, warum er Sie ausgerechnet an mich verwiesen hat.«
»Das weiß ich auch nicht. Er hat mir nur gesagt, dass Sie bis vor ein paar Jahren bei der Polizei gewesen sind. Ich glaube, er hält sehr viel von Ihnen.«
»Das mag schon sein und ich freue mich auch darüber. Nur, ich …«
»Ich weiß, dass ich nur eine alte Frau bin, die von vielen nicht mehr ernst genommen wird. Das ist das Schicksal des Alters genauso wie der Kindheit. Aber derjenige, der meinem Josef das angetan hat, soll nicht einfach so davonkommen. Das kann nicht Gottes Wille sein, und das ist es bestimmt auch nicht. Und wenn Herr Eck, den ich von früher her kenne und schätze, Sie mir empfiehlt als jemand, der mir helfen kann, dann wird er wissen, warum er das getan hat.«
Astrella spürte die tiefe Entschlossenheit, die die alte Frau anzutreiben schien. Ohne Zweifel hatte sie ihren Mann sehr geliebt. Sekundenlang tauchte das Bild von Anne vor seinen Augen auf.
Frau Klimnich räusperte vernehmlich, holte ihn damit wieder in die Gegenwart zurück. Astrella bewunderte die Frau, in deren Augen sich Tränen gebildet hatten. Bei aller Entschlossenheit war sie zugleich wie ein kleines hilfloses Kind, das nach langem Bemühen erkennen musste, dass es letztendlich jemand anderem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.
»Trotzdem ist mir nicht klar, wie Sie darauf kommen, ich könnte Ihnen helfen, geschweige denn, dass ich Ihnen überhaupt helfen möchte!« Er musterte die alte Dame und wartete gespannt auf eine Reaktion. »Wie gesagt: Ich bin kein Privatdetektiv«, fügte er hinzu.
»Ob Sie mir helfen wollen, Herr Astrella, weiß ich nicht«, erwiderte sie ihm mit einer entwaffnenden Offenheit. »Aber dass Sie es können, davon bin ich jetzt, nachdem ich Sie kennengelernt habe, erst recht überzeugt.«
Damit hatte Astrella nicht gerechnet.
»Ich bin zwar alt, aber noch gut bei Verstand. Sie können mir helfen. Das sagt mir nicht nur mein Verstand, sondern auch mein Herz. Josef und ich wussten immer sofort, ob ein Mensch Hilfe braucht oder ob er helfen kann. Gerade Josef hat beharrlich versucht, anderen Menschen zu helfen. Dabei war es ihm völlig gleichgültig, ob diese Menschen arm oder reich waren. Das war einer der Gründe, weshalb ich ihn so geliebt habe. Und nun ist er nicht mehr da, ist nicht mehr an meiner Seite, nur weil es irgendjemand gefiel, ihn umzubringen. Sagen Sie mir, Herr Astrella: Ist das in Ordnung? Und soll ich es einfach so hinnehmen, als wäre nur ein Blumentopf versehentlich auf den Boden gefallen und kaputtgegangen?«
Frau Klimnich hatte sich richtiggehend in Rage geredet und Astrella fragte sich, woher sie diese Kraft nahm. Rückblickend hatte er sich manchmal gewünscht, Gloria und er hätten ebenfalls solch eine Kraft verspürt, wie sie Frau Klimnich in der Erinnerung an ihre Ehe mit Josef Klimnich entwickelte.
»Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand wie Sie, der sich um die Sicherheit anderer Leute kümmert, dumm sein darf.«
Astrella blickte sie erstaunt an – und dann lachte er ob ihrer Direktheit. Zugleich fühlte er, wie sich sein alter Jagdinstinkt in ihm zu regen begann. Trotzdem behagte ihm der Gedanke keineswegs, dass die Frau zuviel Hoffnung in ihn setzte, ihn damit erdrücken könnte. So etwas war ihm bisher noch nie widerfahren.
»Ich kann Sie nur bitten, Herr Astrella, mir zu helfen«, unterbrach Frau Klimnich seine Gedanken. »Selbstverständlich würde ich Ihnen dafür auch etwas bezahlen, weil diese Arbeit bestimmt mit Kosten verbunden ist. Ich kenne mich da nicht so aus.«
Die letzten Worte hatte Astrella indes nur noch mit halbem Ohr aufgenommen. Sein Entschluss war gefasst: Er würde der Frau helfen.
4
In unregelmäßigen Abständen fiel Licht durch das Fenster an die gegenüberliegende Wand der ebenerdig liegenden kleinen verwahrlosten Bude. In dem sich dabei abbildenden Quadrat waren zwei handbreite Streifen einer alten vergilbten Tapete mit Pferdekutschenmotiven zu erkennen, die auf Armlänge heruntergerissen waren. Mitten in dem Lichtquadrat hing ein Bild mit einem weiblichen Akt. Sowohl das dunkle Dreieck ihrer Scham als auch ihre Brüste waren von einem offensichtlich unzufriedenen Betrachter irgendwann nachgebessert worden; er hatte mit Filzstift beide Körperteile übergroß nachgezeichnet. Das Glas darüber war bis auf ein fehlendes Eck unten rechts noch unbeschädigt. Unterhalb des Bildes war der obere Teil einer Kommode
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