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Astrella 02 - Brudernacht

Astrella 02 - Brudernacht

Titel: Astrella 02 - Brudernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Tablett mit einer Kaffeetasse und -kanne aus Porzellan abgestellt hatte.
    »Sie trinken keinen Kaffee?«
    »Nein, nein – ich bin so schon aufgeregt genug. Außerdem verspüre ich in letzter Zeit öfter Herzflattern. Und das würde mir gerade noch fehlen, dass ich meinem Josef folge, bevor ich weiß, warum er so früh hat gehen müssen.«
    Bei den letzten Worten schwang Trauer in ihrer Stimme mit. Astrella schwieg. In manchen Situationen konnten Worte die Wirkung eines plötzlich einsetzenden Schlagbohrers haben. Er ging zu dem Sideboard, nahm die Tasse in die Hand und wollte gerade die Kanne hochheben, als Frau Klimnich ihm diese aus der Hand nahm.
    »Ich mach’ das schon«, sagte sie mit freundlicher Stimme. Sie klang nun wieder klar und unternehmungslustig.
    »Danke«, sagte Astrella. Dann schaute er sie mit einem fragenden Blick an. »Und wo haben Sie das Tagebuch Ihres Mannes?«
    »Hier!« Sie zeigte auf ein aufgeschlagenes Buch in einem blauen Ledereinband, das auf dem Schreibtisch lag. An den danebenliegenden Büchern im gleichen Einband erkannte Astrella, dass die Witwe schon einige Arbeit hinter sich gebracht hatte, bevor sie auf dieses Buch gestoßen war, das also einen Schlüssel zur Aufklärung des Mordes enthalten sollte.
    Astrella folgte ihr an den Tisch und stellte sich neben sie.
    »Sie dürfen sich selbstverständlich in den Sessel setzen, Herr Astrella. Mein Josef hätte bestimmt nichts dagegen.«
    Astrella wusste sofort, was sie ihm mit diesem Zugeständnis sagen wollte. Er ging um den Schreibtisch herum und setzte sich in den schwarzen Ledersessel, der ihn mit einem leicht saugenden Geräusch aufnahm.
    Frau Klimnich ergriff das aufgeschlagene Tagebuch und reichte es Astrella über den Tisch hinweg. Sein Blick fiel auf eine energische Schrift mit kleinen Buchstaben, die trotzdem gut lesbar war.
    An diesem Tag vor fast genau 35 Jahren hatte Josef Klimnich eine Doppelseite vollgeschrieben. Astrella begann zu lesen.
     
    › Dienstag, 23. Mai 1972 ‹
     
    Friedrich rief mich heute in der Praxis an. Der alte Hansdampf in allen Gassen möchte ein Klassentreffen organisieren. Könnte ich mir recht nett vorstellen. Habe deshalb zugesagt, ihn aber ausdrücklich gebeten, mir den genauen Termin frühzeitig mitzuteilen.
    Wieder viel Andrang gehabt heute. Die Leute werden immer häufiger krank. Manchmal scheint es bereits auszureichen, wenn sie auf einer Plakatwand die Werbung für ein Kopfschmerzmittel oder Ähnliches sehen. Müßten sie selbst für ihre Wehwehchen bezahlen, würde es recht schnell zu einer derart großen Anzahl von Wunderheilungen kommen, daß Deutschland über Nacht zum Wallfahrtsort gemacht werden könnte. Dann würden die Leute zwar vermehrt Schwierigkeiten mit ihren Herzen bekommen, weil sie alle Gott gesehen haben wollten, doch käme mir das insofern gelegen, als ich meinen Beruf ja nicht umsonst erlernt haben möchte.
    Die Sache mit PD. und W. bereitet mir gehöriges Kopfzerbrechen. Leider gibt es keine saubere Lösung. Und indem ich ihm helfe, verletze ich sie auf schwerste Art und Weise. Gleichzeitig weiß ich, daß ihr meine Hilfe letztendlich ebenfalls schaden würde, denn die Umstände sind nun mal so wie sie sind: voller Heuchelei, Scheinheiligkeit und dem Anspruch auf ein Ideal, dem nur die wenigsten gerecht werden können. Doch für PD. ist es sicher eine Hilfe. Er gewinnt Zeit, sich zu entscheiden. Dabei wäre es ein großer Verlust für alle, wenn er tatsächlich aufgäbe. Er ist vollkommen fertig. Ich habe ihn noch nie weinen sehen. Ich darf ihn jetzt nicht im Stich lassen, obschon ich mir damit Schuld auflade. Ich habe es schier nicht ausgehalten, als ich mit ihr darüber sprach und ihr klarmachte, daß es keinen anderen Weg gibt. Sie schaute mich an wie den größten Verräter. Im Grunde genommen bin ich das auch. Schließlich zwinge ich sie zu etwas, das ihr aus tiefstem Herzen widerstrebt. Wie sie das nur aushält? Aber auch er. Ich möchte mit keinem von beiden tauschen, habe freilich schon mit meiner Rolle schwerstens zu kämpfen.
    Nur zu gern würde ich mit meiner lieben Berta darüber reden. Aber ich habe Angst davor, daß sie mich von meinem Entschluß abbringen könnte. Nein, es ist besser, wenn sie erst gar nicht davon erfährt. Es reicht, wenn ich in diese Geschichte hin-eingezogen worden bin. Ich kann am allerwenig-sten etwas dafür. Doch das führt jetzt nicht weiter. – Wenn nur das Kind nicht wäre.
    Jetzt ist es schon wieder kurz nach zehn Uhr. Berta hat

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