Astrella 02 - Brudernacht
nun mal spotten oder, wenn man als Kind Glück hat, einfach nur schmunzeln über die seltsamen Ideen von Kindern.
Conny konzentrierte sich wieder auf ihr Spiegelbild. Sie sah sich an und wusste, dass sie es wieder tun würde. Ja, nichts und niemand würde sie davon abhalten können. Dafür liebte sie ihn viel zu sehr. Und er hatte recht; sie hatte es von Anfang an gespürt. Die Wahrheit kann man spüren, da sie meistens mit Schmerz verbunden ist. Auch sie selbst hatte in ihrer Kindheit schon so manche Wahrheit zu spüren bekommen. Regelmäßig handelte es sich dabei um die Wahrheit der Erwachsenen. Eine falsche Wahrheit. Alexander hatte diese ebenfalls kennengelernt. Die falsche Wahrheit der Erwachsenen hatte sie beide zusammengeführt. Nun waren sie zwar ebenfalls erwachsen, doch sie hatten sich geschworen, niemals so zu enden. Und niemals alt zu werden. Das Alter und der Verfall waren die Feinde jeder Wahrheit. Deshalb hatten die beiden alten Männer auch nur unter Schmerzen zur alles erleuchtenden Wahrheit gefunden. Sie hatten sich lange dagegen gewehrt, um ihre Schuld schlussendlich doch zu erkennen und anzuerkennen. Nein, sie beide würden nie damit aufhören, die Wahrheit zu suchen. Und gemeinsam würden sie diese finden.
Von neuer Kraft erfüllt, wandte Conny sich vom Spiegel ab.
17
»Astrella?«
»Herr Astrella – sind Sie es?«
»Ja!«
»Hier Frau Klimnich. Herr Astrella, ich glaube, ich habe etwas gefunden.«
Astrella spürte, wie Erregung in ihm hochstieg. Gerade zwei Tage waren vergangen, seit er auf die Idee mit den schuldigen Unschuldigen gekommen war. Am nächsten Tag war er umgehend zu Frau Klimnich gefahren. Sie hatte ihm seine Unruhe sofort angemerkt. Astrella hatte ihr seine Überlegungen offen dargelegt und sie gebeten, die Tagebücher ihres Mannes auf sonderbare Eintragungen hin zu überprüfen. Nur kurz hatte sie geschluckt und dann genickt.
»In einem seiner Tagebücher schreibt Josef von einer Sache, die vor 35 Jahren passiert ist.«
Unwillkürlich erinnerte Astrella sich daran: Vor 35 Jahren war seine kleine Bubenwelt in Ravensburg noch in Ordnung gewesen.
Frau Klimnich schien derart von der Spur begeistert zu sein, die sie glaubte entdeckt zu haben, dass ihr das Schweigen von Astrella überhaupt nicht auffiel. Mit erregter Stimme redete sie munter weiter.
»Was schreibt er denn, Frau Klimnich? Worum genau geht es in dem Eintrag?«
»Er ist ein bisschen mysteriös. Soll ich vorlesen?«
»Ach nein. Es ist besser, wenn ich zu Ihnen komme. Sie haben doch …«
»Nein, nein, ich habe nichts vor, Herr Astrella. Sie können sofort kommen, wenn Sie wollen.«
Minuten später saß er in seinem Peugeot 607 und fuhr zu Frau Klimnich. Wobei er sich insgeheim für seine Idee mit den Tagebüchern lobte. Nachdem sie ihm nicht ohne Stolz die vollgestopften Regale im Arbeitszimmer ihres Mannes gezeigt hatte, war Astrella klar, dass eine sehr zeitaufwendige Arbeit auf die Frau wartete. Doch das durfte kein Grund sein, es nicht zu versuchen. Und Frau Klimnich schien sogar richtiggehend erleichtert zu sein, etwas zur Suche nach dem oder den Mördern ihres Mannes beitragen zu können. Und als er sie gestern allein im Haus zurückgelassen hatte, war sie sofort an die Arbeit gegangen.
Zudem hatte er, was Lemsack betraf, noch Schwabbels Aussage zu der hellen Limousine und der Frau. Die Frau störte ihn. Was aber, wenn diese Frau nur ein Mann mit langen Haaren war? Immerhin war Schwabbel sturzbetrunken gewesen.
Frau Klimnich öffnete ihm sofort. Mit aufgeregt funkelnden Augen bat sie ihn ohne Umschweife in das Arbeitszimmer ihres Mannes. Bestimmt wurde es zum einen von dem wunderschönen alten Mahagonischreibtisch, der nur zwei Schritte vom Fenster entfernt in der Mitte der Längswand stand. Zum anderen von den beiden Bücherwänden, in denen auch Klimnichs Tagebücher untergebracht waren. Die eine befand sich auf der rechten Wandseite, während die andere um die Tür herum eingebaut war. An der linken Wandseite stand ein Sideboard, ebenfalls aus Mahagoni gefertigt und wohl so alt wie der Schreibtisch. Darüber hing ein wertvoller alter Stich, der eine romantische Landschaft mit einem alleinstehenden Haus und einem daran vorbeiführenden Bach zeigte. Obwohl sonst kein Freund derartiger Einrichtungen, fühlte sich Astrella sofort wohl in diesem Zimmer.
»Ich habe Kaffee für Sie gekocht, Herr Astrella. Wenn Sie möchten?«
Dabei zeigte Frau Klimnich auf das Sideboard, auf dem sie ein silbernes
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