Astrella 02 - Brudernacht
mir bereits ihr resigniertes ›Gute-Nacht‹ gesagt. Es ist leider schwer, einem anderen seine Liebe glaubhaft zu machen, wenn man kaum Zeit für ihn hat. Nur: Was soll ich anders tun?
Ich habe das Gefühl, das Wetter schlägt um. Es ist selten so schwül um diese Jahreszeit.«
Astrella legte das Tagebuch auf den Tisch zurück und starrte auf die aufgeschlagenen Seiten. Er hätte nicht zu sagen vermocht, warum ihm zuerst auffiel, dass der Tagebucheintrag noch in der guten alten Rechtschreibung verfasst worden war. Das leise Räuspern von Frau Klimnich riss ihn aus seinen Gedanken. Er hob den Kopf und schaute sie an.
»Was meinen Sie dazu, Herr Astrella?«
Ihrer Stimme nach zu urteilen, schien ihr Innerstes zum Zerreißen gespannt zu sein. Gleichzeitig meinte er noch einen anderen Ton herauszuhören: eine gewisse Enttäuschung oder Trauer. Was nur zu verständlich wäre. Immerhin erfuhr sie doch zum ersten Mal, dass ihr über alles geliebter Josef ein Geheimnis vor ihr gehabt hatte, dessen Ursprung bald 35 Jahre zurücklag. Und nicht ein einziges Mal hatte er mit ihr darüber gesprochen, obwohl es ihn offenkundig sehr beschäftigt und mitgenommen hatte.
Was sollte er davon halten? Astrella senkte seinen Blick wieder auf die Seiten mit der für einen Arzt angenehm leicht zu lesenden Schrift. Nachdenklich blätterte Astrella einige Seiten weiter. Die Schrift veränderte sich nicht. Unvermittelt hatte Astrella das Gefühl, dass Klimnich ein feiner Mensch gewesen war. Schuldig unschuldig ! Die Worte platzten in Astrellas Gedanken. Und dann die Sache mit dem Kind. Das konnte ein Ansatzpunkt sein. Die wenigen Informationen, die er in diesen Minuten daraus ziehen konnte, waren wie die Teile eines Puzzles.
Er richtete seinen Blick wieder auf die Augen der wie angewurzelt vor ihm stehenden Witwe.
»Ich weiß noch nicht so recht, was ich davon halten soll, Frau Klimnich.«
Er bereute sofort, es so und nicht anders gesagt zu haben, als er die Enttäuschung in ihrem Blick erkannte.
»Natürlich kann in diesen Andeutungen der Schlüssel zu diesem und zu dem anderen Fall liegen. Wir müssen sie deshalb Punkt für Punkt durchgehen. Nur möchte ich nicht, Frau Klimnich, dass Sie sich schon allein dieser Sache wegen in etwas hineinsteigern, das sich womöglich später als falsch herausstellt. Die Enttäuschung für Sie wäre um so größer, glauben Sie mir bitte.«
Berta Klimnich schien mit sich zu kämpfen. Astrella schwieg, beobachtete sie nur. Es dauerte Minuten, bis sie sich aufraffte und sagte:
»Sie haben recht, Herr Astrella. Aber es war doch richtig, Sie anzurufen, oder?«
»Natürlich«, entgegnete Astrella ohne Umschweife. »Ich danke Ihnen auch für Ihre Mühe. Wir beide arbeiten toll zusammen.«
Über ihr Gesicht huschte ein stolzes Lächeln.
»Jetzt habe ich zunächst einmal ein paar Fragen.«
»Fragen Sie.«
»Wissen Sie, ob Ihr Mann damals noch weitere Einträge gemacht hat, die sich auf diese Sache beziehen?«
»Vermutlich nicht, Herr Astrella. Ich habe mich das nämlich auch gefragt und ganz besonders darauf geachtet. Aber obwohl ich inzwischen über ein Jahr weiter bin, was seine Aufzeichnungen betrifft, habe ich nichts mehr dazu gefunden.«
»Dann dürfte auch tatsächlich nichts mehr da sein. Denn so, wie Ihr Mann damals geschrieben hat, scheint es sich um eine eilige Sache gehandelt zu haben. Sie haben auch später nichts von dieser Angelegenheit erfahren?«
»Nein. Wie ich Ihnen schon sagte, habe ich mich nie in die beruflichen Angelegenheiten von Josef eingemischt. Er sollte seine Ruhe haben, wenn er von der Praxis nach Hause kam. Und wenn er mir dann doch mal etwas erzählte, hatte ich eher den Eindruck, er wolle mir damit indirekt sagen, es sei alles in Ordnung.«
»Jedenfalls sind Sie sich ganz sicher: Er hat nie mit Ihnen über diese Sache gesprochen?«
»Ja, und ich habe ein gutes Gedächtnis, Herr Astrella. Außerdem …« Hier zögerte sie zwei, drei Sekunden und schaute auf den Teppichboden. »Außerdem war Josef ein Mensch, der zu seinem Wort stand, worum es auch ging. Und dieser … dieser eine Satz zeigt mir, dass er sich selbst das Wort gegeben hat, nicht mit mir darüber zu reden.«
Astrella verstand sofort, was sie meinte. Das Ansehen ihres Mannes hatte einen klitzekleinen Riss bekommen. Dieser würde zwar niemals ausreichen, um ihre guten Erinnerungen an ihn zu zerstören. Trotzdem war es eine Erkenntnis, mit der sie erst einmal zurechtkommen musste. Dabei war Astrella
Weitere Kostenlose Bücher