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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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verursachte, erstickten ihr erbärmliches bisschen
Gegenwehr im Keim. Mit unbeirrbarer Bestimmtheit senkte sich die Nadel in ihre
Ellenbeuge. Ein kühles Kribbeln kroch durch ihre Vene, als der Kolben die
milchige Flüssigkeit aus der Spritze presste.
    »Ich … will … das … nicht …«
    Ihre eigene Stimme klang bereits,
als käme sie aus weiter Ferne. War es überhaupt noch ihre Stimme? Das Gesicht
der Schwester erschien im Zenit ihres Blickfeldes wie eine feiste rote Sonne.
Auf ihrem Bauch lastete plötzlich ein seltsamer Druck.
    »Ich glaube, es kommt früh.«
    »W-was?«
    Eine fremde Macht bewegte ihre
Lippen. Das Zimmer um sie herum war lebendig geworden, ein pulsierender kleiner
Kasten aus stumpfen hellgrünen Kacheln und halb transparentem vergilbtem
Vorhangstoff.
    »Ihr Baby. Es ist zu früh. Ich
kann die ersten Wehen fühlen. Wir werden Sie sofort zur Entbindung bringen, Kindchen.«

    Langsam kamen die
beiden Offroader zum Stehen. Torn fing Scooters besorgten Blick auf und
realisierte, dass er immer noch im Minenstreifen neben der Leiche stand. Nun,
das war nicht mehr zu ändern. Eine Weile lang bewegte sich nichts, außer dem Staub,
den die beiden Fahrzeuge aufgewirbelt hatten. Torn konnte die Augen förmlich spüren,
die ihn durch die Frontscheibe musterten wie eine Spinne ihre Beute.
    Dann klappte die Tür des vorderen
Fahrzeugs auf, und ein mittelgroßer, drahtiger Mann in einem dunklen Maßanzug
mit straff gescheitelten schwarzen Haaren stieg ins Freie. Die übergroßen Augen
in seinem schmalen Gesicht verliehen seinem Blick eine verstörende Intensität.
    Rygor.
    Meistgehasster Polizist der
Stadt.
    Sadistischer Menschenverächter.
    Torns Nemesis.
    Und Torn stand mit beiden Füßen
mitten in Rygors Sandkasten.
    Irgendeiner der anderen
Grenzpolizisten hatte Torn einmal erzählt, dass sich Rygor damit brüstete,
mehrere Kinder, die es irgendwie über die Grenze und durch die Minenstreifen
nach drinnen geschafft hatten, mit bloßen Händen exekutiert zu haben. Bei jedem
anderen Grenzer hätte Torn das für platte Prahlerei gehalten, nicht jedoch bei
Rygor.
    Rygor klopfte ein paar imaginäre
Flecken vom dunklen Stoff seines Anzugs, dann heftete sich sein Blick auf Torn.
Ein dünnes Lächeln fraß sich in seine Züge wie ätzende Säure.
    Während er lässig auf den
rostigen Grenzzaun zuschlenderte, spuckte der andere Offroader zwei weitere
Männer aus.
    Pailey und Bulk, Rygors Schatten
und allgegenwärtige Spießgesellen.
    Die wässrigblauen Augen, das
dünne hellblonde Haar und seine fahle, schwammige Haut ließen Pailey wirken wie
ein Wesen aus den lichtlosen Tiefen des Meeres. Bulk hingegen war ein großer,
ungeschlachter Felsblock, schwer gezeichnet von einer wulstigen Narbe, die quer
über seinen stoppeligen Schädel und das Gesicht bis zum Kinn verlief. Sein
erblindetes linkes Auge wirkte wie eine stumpfe Glasmurmel.
    Ohne Zweifel die beiden
hässlichsten Vögel, die die Grenzpolizei zu bieten hatte. Das perfekte Gefolge
für Rygor.
    Der hatte mittlerweile den
Stacheldraht erreicht, der den Minenstreifen zur Stadt hin begrenzte. In aller
Ruhe ließ er den Blick über den Krater schweifen, dann über die Leiche, und
schließlich heftete er sich auf Torn.
    Sein Lächeln vertiefte sich noch.
    »Na, hier hat’s wohl den Falschen
erwischt.«
    Torn seufzte. »Du mich auch,
Rygor.«
    Rygor schenkte ihm schon keine
Beachtung mehr. Stattdessen wandte er sich an Pailey und Bulk, die ihrerseits
bei Scooter angekommen waren und ihn umkreisten und anstarrten, als wäre er ein
Museumsstück. »Jungs, habt ihr vielleicht irgendeine Idee, was der Kerl bei
meinem Tatort zu suchen hat?«
    Pailey unterbrach seine
Inspektion. »Weiß nicht, Boss. Vielleicht bringt’s seine Alte nicht mehr, und
er steht jetzt auf Kalte«, schlug er schulterzuckend vor. Bulk kicherte in sich
hinein.
    Rygor nickte scheinbar versonnen.
Dann schnippte er mit den Fingern. »Jetzt, wo du es sagst, Pailey … Hat die
kleine Mrs. Torn Gaser nicht gerade einen – wie sagt man so schön? – einen
Braten in der Röhre?«
    Torn erstarrte. Woher weiß er das? Nicht mal Scooter hatte er etwas davon
erzählt. Und ausgerechnet Rygor wusste davon. Torn lief es eiskalt über den
Rücken.
    Rygor sprach noch immer zu Pailey
und Bulk. »Stellt euch vor – Mrs. Gaser reproduziert. Der Kollege Masterleveller
hier hofft, dass er der Vater ist. Drücken wir ihm die Daumen, dass er sich
nicht irrt. Ich meine, wenn man bedenkt, wer die Mutter ist, könnte

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