@ E.R.O.S.
neue Bedürfnisse reagieren zu können.«
Während Lenz nachdenklich nickt, klicke ich mich aus dem Forum und in ein Livechat. »Wir sollten lieber einen Raum nach dem anderen nach Texten absuchen, die von unserem Mann stammen könnten.«
Lenz holt etwas aus einer Schublade. »Ich werde unsere Sitzung aufnehmen«, sagt er und drückt auf einen Knopf an einem kleinen Olympus-Recorder. »Auf diese Weise muß ich mir Ihre Anweisungen nicht notieren. Das spart mir viel ...«
Der Psychiater zuckt zusammen, als eines der Telefone klingelt. Er sieht nach, welcher Apparat es ist, und hebt dann ab. Als er sich abwendet und so leise spricht, daß ich ihn nicht verstehen kann, öffne ich auf dem Toshiba das E-mail-Fenster von EROS und schreibe eine schnelle Nachricht an Eleanor Rigby: Bitte logge dich NICHT MEHR in EROS ein, bis du von mir gehört hast. Seltsame Dinge geschehen. Werde weitere Mail über Internet schicken. HARPER . Bevor ich die Nachricht abschicke, schalte ich die Auto-File-Funktion aus, damit keine Aufzeichnung dieser Nachricht auf Lenz’ Festplatte gespeichert wird. Dann klicke ich die Maus auf SENDEN. NACHRICHT GESENDET blitzt auf, als Lenz gerade auflegt.
»Das war Daniel Baxter«, sagt er mit vor Aufregung vibrierender Stimme.
»Was wollte er?«
»Strobekker hat gerade Kontakt mit dem Bureau aufgenommen.«
»Was?«
»Er hat eine Nachricht an Daniels persönliche E-mail-Adresse in Quantico geschickt. Ist das möglich?«
»Klar, wenn die Computer in Quantico mit dem Internet verbunden sind.«
»Einige sind es. Aber die Computer der Einheit sollten eigentlich von Außengeräten abgeschottet sein. Die Nachricht kam durch das interne E-mail-System, genau wie es bei einem geheimen Memo über einen Fall erfolgen würde. Die Techniker in Quantico sagen, sie könnten die Quelle der Nachricht nicht lokalisieren. Daniel ist fuchsteufelswild. Er faxt uns jetzt eine Kopie.«
Das Faxgerät klingelt wie aufs Stichwort, und wir beide betrachten die langsam herausgleitende Seite. Als Lenz sicher ist, daß nichts mehr kommt, reißt er das zusammengerollte Blatt ab und legt es auf den Schreibtisch. Die Nachricht lautet:
Bitte hören sie auf, nach uns zu suchen. Sie werden uns nicht finden. Sie waren heute in Dallas nicht einmal in unserer Nähe. Ein Unschuldiger ist umsonst gestorben. Wenn sie wüßten, was wir erreichen wollen, würden Sie nicht einmal versuchen, uns zu finden. Ihnen würde klar, daß von unserer Arbeit letzten Endes die gesamte Menschheit profitieren wird. Unsere Arbeit ist fast beendet. Wir werden nicht mehr Menschenleben als unbedingt nötig opfern. Zum richtigen Zeitpunkt werden wir uns an Sie wenden. Sie müssen uns vertrauen und uns in Ruhe lassen. Danke.
»So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagt Lenz. »Beachten Sie die Verwendung des Pronomens ›wir‹. Das ist oft ein Trick, aber in diesem Fall paßt es zu den Beweisen, die auf mehrere Täter deuten.«
»Sie meinen, so etwas wie einen Kult? Wie die Polizei von Kalifornien schon vermutet hat?«
»Nein, nein. Vergessen Sie dieses Gefasel, daß Sie in New Orleans gehört haben. Echte Ritualmorde kommen so gut wie gar nicht vor. Neunundneunzig Prozent aller ›Ritualverbrechen‹ werden aus ganz normalen Motiven begangen. Zum Beispiel bezeichnet der Anführer eines Kults die Eliminierung eines Rivalen als zeremonielle Tötung. Meistens sind es Anwälte und die Medien, die Gewaltverbrechen zu ›satanischen Morden‹ machen.«
Lenz berührt das Fax mit dem Zeigefinger. »Nein, wir haben es hier mit etwas ganz anderem zu tun. Ist Ihnen aufgefallen, daß die Nachricht keine Drohung enthält? Nicht einmal einen Köder. Der Verfasser versucht lediglich, uns seine Gedanken mitzuteilen. Er glaubt wirklich, daß wir ihn nicht finden können – oder sie. Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, daß es mehrere Täter sind.«
Mein Bauch sagt mir, daß der Verfasser der Nachricht recht haben könnte.
»Daniel überlegt, ob dies das Werk eines frustrierten Angestellten oder Witzbolds im Bureau sein könnte«, grübelt Lenz. »Ich halte das nicht für wahrscheinlich.«
»Aber wenn Sie noch nie so eine Mitteilung erhalten haben, stammt sie vielleicht gar nicht vom Mörder.«
»Oh, die ist von ihm. Ich sehe das Fehlen einer offensichtlichen Drohung als noch gefährlicher an. Das Werk einer sehr zuversichtlichen und daher überaus gut vorbereiteten Persönlichkeit. Und hier ... Ich glaube, er ist tatsächlich der Ansicht, daß wir
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