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Atemschaukel

Titel: Atemschaukel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Mueller
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klein, als halbes Kind nicht mehr in die Höhe, nur noch in die Breite gewachsen. Sie hatte einen langen braunen Zopf und einen Kranz aus Kräuselhaaren um die Stirn und im Nacken. Die erste Zeit kämmten die Frauen sie täglich, und als die Läuseplage anfing, alle paar Tage.
    Die Planton-Kati war für keine Arbeit zu gebrauchen. Sie verstand nicht, was eine Norm ist, ein Befehl oder eine Strafe. Sie brachte den Ablauf der Schicht durcheinander. Um sie mit etwas zu beschäftigen, wurde im zweiten Winter der Planton-Dienst für sie erfunden. Sie sollte nachts abwechselnd in den Baracken Wache halten.
    Eine Zeitlang kam sie in unsere Baracke, setzte sich an den kleinen Tisch, legte die Arme zusammen, kniff die Augen zu und schaute ins stachlige Dienstlicht der Glühbirne. Der Stuhl war zu hoch, ihre Füße reichten nicht auf den Boden. Wenn die Langweile kam, hielt sie sich mit den Händen am Tischrand und geigte mit dem Stuhl vor und zurück. Sie hielt es kaum eine Stunde aus, dann ging sie in eine andere Baracke.
    Im Sommer kam sie nur noch in unsere Baracke und blieb die ganze Nacht, weil ihr die Kuckucksuhr gefiel. Die Uhrzeit konnte sie nicht lesen. Sie setzte sich unters Dienstlicht, legte die Arme zusammen und wartete, dass der Gummiwurm aus dem Türchen kommt. Wenn er schnarrte, öffnete sie den Mund, als würde sie beim Scheppern mitmachen, blieb aber stumm. Wenn der Gummiwurm zum zweiten Mal erschien, war sie schon mit dem Gesicht auf dem Tischchen eingeschlafen. Bevor sie einschlief, holte sie ihren Zopf vom Rücken aufs Tischchen und hielt ihn beim Schlafen die ganze Nacht in der Hand. Vielleicht war sie dann nicht so allein. Vielleicht fürchtete sie sich im Wald dieser 68 Männerbetten. Vielleicht half ihr der Zopf wie mir der Tannenzapfen im Wald. Oder sie wollte, mit dem Zopf in der Hand, nur sicher sein, dass man ihn nicht stehlen kann.
    Der Zopf wurde ihr gestohlen, aber nicht von uns. Als Strafe fürs Einschlafen brachte Tur Prikulitsch die Planton-Kati in die Krankenbaracke. Die Feldscherin musste sie kahlscheren. An diesem Abend kam die Planton-Kati mit dem abgeschnittenen Zopf um den Hals in die Kantine und legte ihn wie eine Schlange auf den Tisch. Sie tunkte das obere Zopfende in die Suppe und hielt es an den kahlen Kopf, damit es wieder anwächst. Sie gab auch dem unteren Zopfende zu essen und weinte. Die Heidrun Gast nahm ihr den Zopf weg und sagte, es sei besser, wenn sie ihn vergisst. Nach dem Essen warf sie den Zopf in eines der Feuerchen im Hof, und die Planton-Kati schaute wortlos zu, wie er verbrannte.
    Die Planton-Kati mochte auch kahlgeschoren die Kuckucksuhr und schlief auch kahlgeschoren nach dem erstenSchnarren des Gummiwurms ein und hielt die Hand gekrümmt, als wäre der Zopf drin. Auch als die Haare nachwuchsen, schlief sie ein, hielt im Schlaf die Hand gekrümmt, obwohl die Haare nur fingerlang waren. Monatelang schlief die Planton-Kati ein, bis sie wieder kahlgeschoren wurde und die Haare so schütter nachwuchsen, dass man mehr Läusebisse als Haare sah. Sie schlief so lange ein, bis Tur Prikulitsch begriff, dass man jeden verelendeten Menschen drillen, aber Schwachsinn nicht gefügig machen kann. Der Planton-Dienst wurde abgeschafft.
    Bevor sie kahlgeschoren war, setzte sich die Planton-Kati beim Appell mitten in der Reihe auf ihre Wattemütze in den Schnee. Schischtwanjonow schrie: Faschistin, aufstehen. Tur Prikulitsch riss sie am Zopf hoch, wenn er losließ, setzte sie sich wieder. Er trat ihr ins Kreuz, bis sie gekrümmt liegenblieb, ihren Zopf in die Faust drückte und die Faust in den Mund. Das Zopfende hing heraus, als hätte sie von einem kleinen braunen Vogel schon die Hälfte abgebissen. Sie blieb liegen, bis ihr jemand von uns nach dem Appell auf die Beine half und sie in die Kantine führte.
    Über uns konnte Tur Prikulitsch verfügen, doch mit der Planton-Kati gab er sich nur die Blöße der Grobheit. Und als auch die ihm missglückte, die Blöße des Mitleids. Unverbesserlich und hilflos nahm die Planton-Kati seinem Herrschen den Sinn. Um sich nicht zu blamieren, wurde Tur Prikulitsch zahm. Beim Appell musste die Planton-Kati nun vorne neben ihm auf dem Boden sitzen. Stundenlang saß sie auf ihrer Wattemütze und schaute ihm verwundert zu wie einer Gliederpuppe. Nach dem Appell war ihre Mütze am Schnee festgefroren, man musste sie vom Boden losreißen.
    An drei Sommerabenden nacheinander störte die Planton-Kati den Appell. Eine Zeitlang blieb sie still neben

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