Atemschaukel
Prikulitsch sitzen, dann rückte sie nah an seine Füße und polierte mit ihrer Mütze seinen Schuh. Er trat ihr auf die Hand. Sie zog die Hand weg und polierte den anderen Schuh. Er trat auch mit dem zweiten auf ihre Hand. Als er den Fuß hob, sprang sie auf und rannte mit flatternden Armen durch die Appellreihen und gurrte wie eine Taube. Alle hielten den Atem an, und Tur lachte hohl, wie große Truthähne bellen.
Dreimal konnte die Planton-Kati seine Schuhe polieren und eine Taube sein. Danach durfte sie nicht mehr beim Appell erscheinen. Sie musste während der Appellzeit in den Baracken die Fußböden wischen. Sie nahm sich am Brunnen Wasser in den Eimer, drückte den Lappen aus, wickelte ihn um den Besen, wechselte nach jeder Baracke am Brunnen das dreckige Wasser. In ihren Kopf kam keine Unsicherheit, die den Vorgang störte. Der Fußboden war sauber wie nie zuvor. Sie wischte gründlich und ohne Eile, vielleicht aus Gewohnheit von zu Hause.
So verrückt war sie gar nicht. Zum Appell sagte sie APFEL.
Wenn ein Glöckchen an den Koksbatterien bimmelte, meinte sie, in der Kirche fängt die Messe an. Sie musste sich die Täuschung gar nicht ausdenken, weil ihr Kopf gar nicht hier war. Ihr Verhalten passte sich nicht der Lagerordnung, aber den Zuständen an. In ihr hauste etwas Elementares, um das wir sie beneideten. In ihren Instinkten kannte sich nicht einmal der Hungerengel aus. Er suchte sie heim wie uns alle, aber er stieg ihr nicht bis ins Hirn. Sie tat das Einfachste ohne Wahl, überließ sich den Zufällen. Sie überlebte das Lager, ohne zu hausieren. Bei den Küchenabfällen hinter der Kantine war sie nie zu sehen. Sie aß,was auf dem Lagerhof und Fabrikgelände zu finden war. Blüten, Blätter und Samen im Unkraut. Und allerlei Getier, Würmer und Raupen, Maden und Käfer, Schnecken und Spinnen. Und im Schneehof des Lagers den gefrorenen Kot der Wachhunde. Man wunderte sich, wie die Wachhunde ihr vertrauten, als sei dieser torkelige Mensch mit der Ohrenmütze einer von ihnen.
Der Irrsinn der Planton-Kati hielt sich immer in einem entschuldbaren Umfang. Sie war nicht anhänglich und nicht abweisend. All die Jahre behielt sie die Natürlichkeit eines im Lager heimischen Haustiers. Sie hatte überhaupt nichts Fremdes. Wir mochten sie.
An einem Septembernachmittag war meine Schicht zu Ende, die Sonne schien noch stechend heiß. Ich verlor mich auf den Trampelpfaden hinter der Jama. Zwischen feurigem Meldekraut, das man längst nicht mehr essen konnte, wiegte sich, versengt vom Sommer, der wilde Hafer. Seine Gräten schimmerten wie Fischskelette. In den harten Schalen waren die Körner noch milchig. Ich aß. Auf dem Rückweg wollte ich nicht mehr durchs Unkraut schwimmen und ging am kahlen Weg entlang. Neben dem Zeppelin saß die Planton-Kati. Ihre Hände lagen auf einem Ameisenhügel und wimmelten schwarz. Sie leckte sie ab und aß. Ich fragte: Kati, was machst du.
Ich mach mir Handschuhe, die kitzeln, sagte sie.
Ist dir kalt, fragte ich.
Sie sagte: Heute nicht, morgen. Meine Mutter hat mir Mohnkipfel gebacken, sie sind noch warm. Geh nicht mit den Füßen drauf, kannst doch warten, du bist doch kein Jäger. Wenn die Kipfel alle sind, werden die Soldaten beim Apfel gezählt. Dann fahren sie nach Hause.
Da waren ihre Hände wieder wimmelnd schwarz. Bevor sie die Ameisen ableckte, fragte sie: Wann ist der Krieg aus.
Ich sagte: Der Krieg ist schon zwei Jahre aus. Komm, gehen wir hinüber ins Lager.
Sie sagte: Siehst du nicht, jetzt habe ich keine Zeit.
Der Kriminalfall mit dem Brot
Fenja hatte nie eine Pufoaika-Jacke an, sondern einen weißen Arbeitskittel und darüber ihre gehäkelten Wolljacken, immer eine andere. Die eine war nussbraun, die andere schmutzlila, wie ungeschälte rote Rüben, eine war lehmgelb und eine weißgrau gesprenkelt. Jede hatte zu weite Ärmel und spannte über dem Bauch. Man wusste nie, welche Wolljacke für welchen Tag bestimmt ist und wozu Fenja sie überhaupt und noch dazu über den Kittel anzieht. Warmhalten konnten sie nicht, sie waren aus vielen Löchern und wenig Wolle. Vorkriegswolle, schon oft gestrickt und aufgezogen, die immer noch gut zum Häkeln war. Vielleicht die Wolle aller ausgedienten Jacken einer ganzen Großfamilie oder der geerbten Jacken aller Toten dieser Familie. Über Fenjas Familie wussten wir nichts, nicht einmal, ob sie vor oder nach dem Krieg eine hatte. An Fenja persönlich war keiner von uns interessiert. Aber jeder war ihr ergeben, weil sie
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