Atevi 2 - Eroberer
Menschen sind irritiert… nicht alarmiert, sondern einfach bloß irritiert, und zwar aus ähnlichen Gründen wie die Atevi. Keiner hat damit gerechnet. Mospheira ist von diesem Schiff überrascht worden. So wie Sie auch. Und niemand hat solche Überraschungen gern. Vermutlich ist sogar die Schiffsbesatzung überrascht. Nämlich über den Zustand der Kolonie, über ihre komplexen Strukturen, die sich in knapp zweihundert Jahren entwickelt haben, was so nicht vorauszusehen war.«
»Und was soll das heißen? Bilden die Menschen immer noch einen Verband oder nunmehr zwei? Wer bestimmt? Die Schiffsbesatzung oder die Inselregierung?«
Kritische Fragen. Brennende Fragen, insbesondere für einen atevischen Herrscher, der die Gültigkeit räumlicher Grenzen nicht anerkennen konnte. »Aiji-ma, nach meinem Verständnis stehen wir vor folgender Situation: Aus dem einst geschlossenen Verband der Menschen haben sich zwei Lager herausgebildet; sie stehen sich nicht als Feinde gegenüber, verfolgen aber unterschiedliche Interessen. Sie haben doch bestimmt die Funksprüche abgehört und mitgeschnitten, oder?«
»Allerdings.«
»Konnten Sie sie auch entschlüsseln?«
»Zahlen und Namen sind uns klar. Es wäre schön, wenn Sie den Rest für uns übersetzen.«
Es beruhigte Bren zu erfahren, daß die Gespräche zwischen dem Schiff und Mospheira uncodiert waren. Tabinis Bitte um Übersetzung brachte ihn jedoch in Verlegenheit. Mospheira wußte natürlich, daß er dazu in der Lage war. So wie auch Hanks, und dennoch hatte man sie hierher geschickt. Mospheira hätte also nichts dagegen. Jedenfalls konnte sich Bren nicht daran erinnern, irgendwelche Einwände gehört zu haben.
»Das läßt sich machen, Aiji-ma. Ich würde allerdings gern Rücksprache nehmen…«
»Angenommen, Mospheira verbündet sich mit dem Schiff. Sagen Sie mir: Was hätte das für Sie als Paidhi für Konsequenzen?«
»Ich kann mir eine solche Konstellation kaum vorstellen.«
»Mir fällt das gar nicht schwer.«
»Bündnisse zwischen Menschen sind nicht zu vergleichen mit atevischen Verbänden«, antwortete Bren. »Sie sind eher zufällig und weniger zwingend. Das liegt in der Natur des Menschen. Ich weiß nicht so recht, wie ich das mit den Worten Ihrer Sprache erklären soll. Aber seien Sie versichert, Aiji-ma, die Menschen auf Mospheira fühlen sich mehrheitlich durch nichts dazu verpflichtet, mit der Besatzung des Schiffs eine Verbindung einzugehen.«
»Das überzeugt mich nicht, nand’ Paidhi. Zugegeben, die menschliche Natur ist mir ein Rätsel. Aber Ihrer Behauptung, daß es zwei unabhängige Lager gibt, die einander nicht feindlich gesinnt sind, kann ich beim besten Willen nicht folgen.«
Wieder einmal war jener Punkt erreicht, an dem jeder Versuch der Verständigung scheitern mußte und deutlich wurde, wie groß die Kluft zwischen Menschen und Atevi war. Tabini konnte nicht einsehen, daß es den Menschen an Man’chi mangelte, jener atevischen Art von Loyalität, die einem zwanghaften inneren Bedürfnis nach Unterordnung unter eine Autorität entsprach. Darum konnte er nicht glauben, daß sich die Menschen auf Mospheira nicht spontan jener Schiffsbesatzung anschlossen, die nach Tabinis Verständnis eine historische, zwingende Autorität darstellte.
Aber auch auf der anderen Seite der Meerenge konnten sich die Menschen in der Enklave kaum vorstellen, wie Atevi die neuentstandene Situation lesen mußten. Immerhin war Tabini dank seiner Erfahrung im Umgang mit dem Paidhi klug genug, um diesen grundlegenden Unterschied in der Gefühlswelt zwischen Menschen und Atevi zu registrieren. Dennoch war er nicht imstande, über das zu erwartende Verhalten der Menschen auf Mospheira richtige Voraussagen zu treffen, denn dazu fehlte ihm ganz einfach die entsprechende Gemütsausstattung. Den meisten Personen – ob Mensch oder Ateva – war es nicht gegeben, die eigenen Gedanken zu analysieren; das vermeintlich bewußte, reflektierte Urteil war häufig nicht mehr als eine Reaktion aus dem Bauch heraus.
Bren war in dieser Hinsicht allen anderen ein gutes Stück voraus, nicht zuletzt aufgrund seiner jüngsten Erfahrungen in der entlegenen Provinz von Maidingi, wo er solche impulsiven Reaktionen ein ums andere Mal am eigenen Körper hatte erleiden müssen.
Darum konnte er sich nun halbwegs in Tabinis Lage hineinversetzen, und indem er sozusagen seine Schnittstelle zur atevischen Gefühls- und Gedankenwelt justierte, verwarf er unwillkürlich alles, was seine
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