Atevi 3 - Erbe
werden, von Leuten, die ein Interesse daran hatten, daß die auf seinem Computer gespeicherten Informationen verlorengingen.
Daß ihm sein Chef vor rund einem halben Jahr Computercodes unter der Armschiene heimlich zugesteckt hatte, war damals beileibe nicht dazu angetan gewesen, das Vertrauen des Paidhi ins Außenministerium zu kräftigen, und daß sich die Regierung seither in panischer Konfusion befand, Dinge tat und Erklärungen abgab, die den fragilen Frieden bedrohten, machte deutlich, daß sich die Lage inzwischen alles andere als verbessert hatte.
Da Shawn und alle anderen Kollegen aus dem Auswärtigen Amt, die die Atevi wirklich kannten, anscheinend nichts gegen diese Verrücktheiten unternehmen konnten, sah es Paidhi Bren – der dem alten Regime treu war, nicht aber dem gegenwärtigen – als seine Pflicht an, seinen Posten auf dem Festland zu halten und nicht nach Hause zurückzukehren.
Der Paidhi schätzte sich darum glücklich, hier auf dem Balkon zu sitzen.
Und er fand, daß sich Atevi und Menschen gleichermaßen glücklich schätzen durften, daß es in dieser ziemlich heiklen Situation doch immerhin noch einige vernünftige Leute gab, die darum bemüht waren, miteinander klarzukommen.
Tatsache war, daß beide Seiten endlich ein technisches Niveau erreicht hatten, das ein gegenseitiges Verständnis möglich machte. Die Bedrohung durch ökonomische Krisen und soziale Destabilisierung war zurückgegangen. Und es stellte sich so dar, als seien die wesentlichen Interessen beider Seiten durchaus miteinander vereinbar. Das ließ auf eine gute Kooperation im Weltraum hoffen, auf eine glückliche Realisierung dessen, was sich die bessermeinenden Mitglieder beider Völker seit langer, langer Zeit erträumten, nicht erst seit der Wiederkehr des Schiffs.
Aber der gemeinsame Boden, auf dem sich beide Seiten nun wähnten, war voller Tücken und Fallstricke. Es hatten sich bereits einige äußerst brenzliche Situationen ergeben. Beispiel: Während er bewußtlos in einem mospheiranischen Krankenhaus lag, hatten konservative politische Kräfte, allen voran Außenminister Hampton Durant den Einsatz der Paidhi-Vertreterin voranzutreiben versucht, in der Absicht, unwiderrufliche Tatsachen zu schaffen, da ihre Opposition in der Regierung gerade eine tiefe Krise durchmachte.
Und fast hätten sie ihr Ziel erreicht.
Deana Hanks, der guten Deana, Tochter eines prominenten Konservativen von Mospheira, war es in nur einer Woche gelungen, die in zweihundert Jahren gewachsenen Beziehungen zu erschüttern, dadurch nämlich, daß sie gegenüber Geigi, dem Lord der Provinz von Sarini, die schlichten Worte ›schneller als Licht‹ in den Mund genommen hatte.
Mit eben jenem Lord Geigi saß nun Bren auf dessen Balkon und frühstückte.
Schneller als Licht – SAL, ein vermeintlich harmloser Begriff. Für Menschen so selbstverständlich wie das kleine Einmaleins. Nicht so für Atevi. In heimtückischer Absicht oder aber aus Dummheit hatte Deana mit diesem einzigen Ausdruck die in dieser Provinz und in weiten Gebieten ringsum herrschenden Machtstrukturen bedroht, im Grunde das Westbündnis, den Vertrag und die gesamte industrialisierte Welt – denn SAL stellt die Psychologie und den Glauben der Atevi von Grund auf in Frage.
Das atevische Gehirn, von der atevischen Sprache gesteuert (oder was war zuerst: die Henne oder das Ei?), ist in der Verarbeitung von Zahlen um etliches gewandter als das menschliche. Die atevische Sprache ist immer auch Kalkulation, die verhindern soll, daß unglückliche Zahlen ausgesprochen werden.
Mathematik? Die Atevi wetzen ihre Zunge daran. Und Fragen stellen sich zuhauf. Die Ordnung des Universum, die die Grundlage ihrer Philosophie bildet, verträgt kein Paradoxon.
Zum Glück hatte ein atevischer Astronom, also einer jener Wissenschaftler, die in geringem Ansehen standen, weil sie die Ankunft der Menschen nicht hatten vorhersagen können, eine mathematische Logik in dem SAL-Paradoxon gefunden, die von den philosophischen Deterministen der Halbinsel akzeptiert werden konnte. Die Situation war gerettet und die Paidhi-Vertreterin zurück über den Kanal gejagt worden, wo sie nach Herzenlust vor konservativen Menschenerbrechtlern Vorträge halten mochte, ohne Schaden anzurichten.
Doch infolge ihres turbulenten Intermezzos auf dem Kontinent und dank der großen Publizität einer ansonsten sehr akademischen Frage, war das SAL-Thema seit dem vergangenen Herbst in aller Munde.
Bren hatte der
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