Atlan 08 - Illochim 02 - Im Bann der Gatusain
dass wir alle zu langsam reagierten. Er warf sich auf die Medikerin und umklammerte ihren Hals.
»Aufhören, Tristan!«, rief Havedge. »Lassen Sie die Ärztin los!«
Ich glaubte nicht, dass Li auch nur ein Wort verstand. Sein Gesichtsausdruck, der nichts Menschliches mehr an sich hatte, erschütterte mich. Er rüttelte Drays und presste ihr die Kehle zusammen. Sie versuchte ihn abzuwehren, doch gegen seine Kräfte kam sie nicht an.
Die Benutzung des Gatusain hat durchaus gewirkt , machte mich der Extrasinn aufmerksam, während ich Tristan von hinten packte. Er ist verrückt geworden, durch den Sarkophag, und der Wahnsinn verleiht ihm zusätzliche Kräfte.
Ich bekam Li nicht von Drays losgerissen, obwohl Legove und Connaire mich unterstützten. Wir zogen und zerrten an ihm. Cyriane röchelte aus offen stehendem Mund. Ich sah keinen anderen Ausweg, als Li mit einem Dagor-Griff außer Gefecht zu setzen. Die Ärztin war frei. Tristan ächzte, sackte in sich zusammen und kam gleich wieder in die Höhe. Normalerweise hätte er mehrere Minuten im Reich der Träume verweilen müssen. Seine körperlichen Reaktionen ließen sich nicht mehr mit normalen Maßstäben bewerten, seine Widerstandskraft und seine Stärke schienen im Vergleich zum Normalzustand potenziert.
Ich hieb ihm meine Faust unters Kinn, und er kippte nach hinten. Nie zuvor hatte ich jemanden dermaßen langsam umfallen sehen. Tristan fischte in der Luft nach etwas, woran er sich festhalten konnte, ruderte mit den Armen und fiel auf den Rücken. Diesmal stand er nicht wieder auf. Seine Hände würgten einen imaginären Gegner, sein Gesicht war zu einer Grimasse aus Wut und Hass verzerrt.
Von der Tatsache, dass er sie eben noch gepackt und gewürgt hatte, ließ sich Drays nicht abhalten. Sie ging neben ihm auf die Knie und tastete über seine Stirn. »Liebe Güte«, entfuhr es ihr. »Wasser! Wir brauchen Wasser, um ihn zu kühlen.«
Havedge reichte ihr einen Kanister. Sie tränkte einen Ärmel ihres Schutzanzugs darin und betupfte Lis Stirn. Er rollte mit den Augen, die einen gelben Farbton angenommen hatten, der mit dem fahlen Weiß seines Gesichts kontrastierte. Es war eine Totenmaske, die Sekunden später erstarrte. Ein entspannter Ausdruck trat nun in Tristans Züge.
»Er atmet nicht mehr.« Drays presste seine Brust und unternahm Wiederbelebungsversuche. Sie verliefen erfolglos, und nach einer Weile schüttelte sie den Kopf. »Wir haben ihn verloren. Er ist tot.«
Havedge gab einen klagenden Laut von sich. Er trauerte ehrlich um den Jungen, der ihm ans Herz gewachsen war. Ich selbst hatte einen anderen Gedanken. Ich brauchte nicht länger mit Li zu teilen.
Endlich gehört der Gatusain mir allein.
Ich schämte mich dafür.
Statthalter
Seine schwarzen Augen schauten neugierig, wie es nur die Augen eines Kindes taten. Vorsichtig streckte er den Kopf aus dem Sirtel, gluckste fragend und fing an zu plappern, als seine Mutter ihm über den Kopf strich.
»Er ist bald soweit, auf eigenen Beinen zu stehen«, sagte Uchta stolz.
»Du meinst, er wird mich verlassen?«, fragte Jidside.
»Er verlässt nicht dich, nur den Sirtel. Dich wird Scholk niemals verlassen«, versicherte Uchta. Seit Tagen reagierte Jidside übernervös, wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kamen. Wie alle Mütter machten ihr die Instinkte zu schaffen, wenn ein Neugeborener kein Ankömmling mehr war, sondern ein Kind. Bei Scholk war das so. Er gehörte seit Wochen zur Familie und kletterte immer häufiger aus dem Schutz des mütterlichen Fleischlappens. Verließ er ihn endgültig, wurde er zugleich Mitglied der Sippe.
Die Sippe, nie war sie größer gewesen. Sie hatte mehr Angehörige denn je, seit die Herrin Kanacht aus anderen Dörfern holte. Uchta beäugte die Neuen, die im Bau seiner Familie untergekommen waren, mit Misstrauen. Er kannte keinen von ihnen, doch es war selbstverständlich, sie aufzunehmen, weil die Herrin es erwartete.
Es gab eine weitere Neuerung. Das Dorf hatte nie einen Namen besessen. Nun hieß es Neu-Kunshun, worunter sich Uchta nichts vorstellen konnte.
»Ich würde ihn gern noch ein paar Tage bei mir behalten. Er wird sich vor den Menschen fürchten.«
»Wieso sollte er sich fürchten? Die Menschen sind unsere Freunde. Sie werden ihn ebenso gut behandeln wie wir es tun. Zweifelst du daran?«
Jidside schwieg lange. Als sie weiter sprach, klang sie verunsichert. »Erinnerst du dich an Argoth?«
»Was für eine Frage. Wie könnte ich den
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