Atlan TH 0010 – Das Gesetz der Erbauer
Gedanken.«
»Dann ...«, stammelte die Frau tonlos, »dann ... sterben sie!«
»Beruhige dich.« Der Druck seines Arms wurde fester. »Atme tief durch.«
Hajke schüttelte wild den Kopf. Ihre Schultern zuckten, während sie an der Seite des Mutierten durch den Korridor taumelte. Der Anblick der beiden in Auflösung befindlichen Humanoiden ging ihr nicht aus dem Sinn. Ihre Umgebung nahm sie kaum noch wahr. Sie spürte nur, wie Silberauge sie immer weiter mit sich zerrte, und registrierte, wie das Licht hinter ihr erlosch und einer vom schwachen Schein einer Handlampe erhellten Düsternis wich. Aus der Dunkelheit schälten sich die verwaschenen Konturen zweier Osather – männlich und weiblich, sterbend, zerfallend ...
Dann traten sie ins Freie. Hajke sog die frische Luft des Planeten ein, stolperte über einen Stein. Silberauge stützte sie. Allmählich ging ihr Atem ruhiger und flacher.
Ihr Geist verdrängte das, was er noch nicht verarbeiten konnte. Während sie stehen blieb und Silberauge sie losließ, registrierte sie, dass der Boden schwer und feucht war. Es musste in der Zwischenzeit geregnet haben. Irgendwo brach ein einzelner Sonnenstrahl durch die Wolken und zeichnete seine helle Bahn in die Luft. Ein Schatten wirbelte auf sie zu und entpuppte sich als Klottot-Not Nullvier.
»Du siehst krank aus«, hörte sie ihn sagen. »Kann ich dir behilflich sein?«
»Danke, nein.« Ihre Stimme war brüchig, aber die vertraute Umgebung half ihr, den Schock nach und nach abzuschütteln. Sie brachte es sogar fertig zu lächeln.
Dann sah sie die alte Krytta, die über einen der Kieswege auf das Haus zuhumpelte und lautstark auf ihren ständigen Begleiter einredete. »... werde ich diesen unseligen Planeten verlassen, sobald sich eine Möglichkeit dazu bietet. Ich schwöre dir, dass mich nichts hier halten kann!«
»Ich bleibe«, erwiderte der Krötenmensch. »Es gefällt mir auf Osath.«
»Das ist mir egal. Mach, was du willst. Ich brauche dich nicht. Notfalls besorge ich mir einen weiteren Gehstock, und dann kannst du sehen, was aus dir wird.«
Aus dem zweiten Treppenturm lief Sara ins Freie. Ihr Gesicht wirkte hart und verbissen. Als Krytta drohend den Stock gegen sie erhob, winkte sie nur gelangweilt ab.
»Sie hat wieder Streit mit Coll«, analysierte Hajke spontan. »Auf der SOL ist es gut gegangen – hier offenbar nicht.«
Unwillkürlich blickte sie sich nach Silberauge um. Der Mutierte stand einige Schritte von ihr entfernt und beobachtete sie. Jetzt begann er zu lachen. »Lass uns ebenfalls hierbleiben«, sagte er. »Es lohnt sich.«
Hajke nickte. Die silbernen Augen des Mutierten leuchteten heller und strahlender, als sie es je erlebt hatte. Sie halfen ihr, alles zu vergessen, was sie belastete.
Selbst der Sonnenstrahl, der auf die regengetränkte Erde fiel, schien ihr plötzlich fremd und unpassend für diese Welt. Als er hinter einem dichten Wolkenfeld verschwand, erkannte sie ihre neue Heimat wieder und spürte die Geborgenheit, die sie im wissenden Blick Silberauges fand.
Es war, als erwache sie aus einem bösen Traum.
Für Y'Man, den Anführer der Missgebauten, schien die Welt weit weniger in Ordnung. Sein Ziel war es, den Herrn in den Kuppeln endlich auf den Weg zurückzuführen, den seine Erbauer vorgesehen und den er vor langer Zeit verlassen hatte. Über seine mangelhaften, aber immerhin ausreichenden Kontrollinstrumente hatte er Weicos' Versuch das Robotgehirn zum Gehorsam zu bewegen, verfolgt. Das Ergebnis war niederschmetternd. Der Herr in den Kuppeln handelte eigensinniger als je zuvor.
Es blieb noch eine Möglichkeit. Atlan, jener intelligente und faszinierende Arkonide, hielt sich ebenfalls auf Osath auf. Seit der Landung war Y'Man darüber informiert. Die Kontaktaufnahme hatte er nur deshalb so lange hinausgezögert, weil er darauf hoffte, Weicos könnte mit seiner Vorsprache beim Robotgehirn Erfolg haben. Aber der Mutierte war gescheitert und befand sich überdies in einer depressiven Stimmung, in der er kaum bereit sein würde, es noch einmal zu versuchen. Auch seine Artgenossen, die Solaner, hatten keine Chance, dem Herrn in den Kuppeln Paroli zu bieten, solange sie noch mit sich selbst beschäftigt waren – und selbst danach blieb es zweifelhaft, ob sie die richtige Einstellung zu ihrer Aufgabe finden würden.
Dem Arkoniden hingegen traute Y'Man zu, dass er dieses Dilemma lösen konnte. Ob er es überhaupt wollte, war eine andere Frage, denn dazu war die ständige
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