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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Sachen.

    Willie verließ das Krankenhaus, aber die alte mamasan blieb. Die alte mamasan war stur. Im Verlauf der sieben Monate, die Sully im Veterans Hospital in San Francisco lag, kam sie jeden Tag und jede Nacht; sie war seine treueste Besucherin in dieser endlosen Zeit, als die ganze Welt nach Pisse zu stinken schien und ihm das Herz so wehtat wie ein schmerzender Kopf. Manchmal erschien sie in einem muumuu , wie die Gastgeberin eines ziemlich ausgeflippten luau , manchmal kam sie in einem dieser grauenhaften grünen Golfröcke und einem ärmellosen Oberteil, das den Blick auf ihre dürren Arme freigab … aber meistens trug sie dasselbe wie an dem Tag, als Malenfant sie getötet hatte - die grüne Hose, den orangefarbenen Kittel, die roten Schuhe mit den chinesischen Symbolen darauf.
    In jenem Sommer faltete er eines Tages den San Francisco Chronicle auseinander und sah, dass seine alte Freundin es auf die Titelseite geschafft hatte. Seine alte Freundin und ihre Hippiekumpels hatten in Danbury ein paar Kinder und Anwerber getötet. Seine alte Freundin war jetzt »die rote Carol«. Seine alte Freundin war eine Berühmtheit. »Du Dreckstück«, sagte er, als die Zeitung sich zuerst verdoppelte, dann verdreifachte und schließlich in Prismen auflöste. »Du blödes, kaputtes Dreckstück .« Dann knüllte er die Zeitung zusammen und wollte sie durch den Raum werfen, und da war seine neue Freundin, da war die alte mamasan, die auf dem Bett nebenan saß und Sully mit ihren schwarzen Augen ansah, und Sully war bei ihrem Anblick vollständig zusammengebrochen. Als die Krankenschwester kam, konnte oder wollte Sully ihr nicht erzählen, weshalb er weinte. Er wusste nur, dass die Welt völlig aus den Fugen geraten war und dass er eine Spritze haben wollte,
und die Schwester fand schließlich einen Arzt, der ihm eine gab, und das Letzte, was er sah, bevor er das Bewusstsein verlor, war mamasan , die verdammte alte mamasan , die auf dem Bett nebenan saß, die gelben Hände in ihrem grünen Polyesterschoß, und ihn anblickte.
    Sie reiste auch mit ihm zusammen quer durchs ganze Land, folgte ihm als blinder Passagier auf der anderen Seite des Ganges in der Touristenklasse der United-Airlines-747 bis nach Connecticut. Sie saß neben einem Geschäftsmann, der sie ebenso wenig sah wie die Besatzung des Huey damals, ebenso wenig wie Willie Shearman oder das Personal im Pussy Palace. In Dong Ha war sie Malenfants Freundin gewesen, aber jetzt war sie John Sullivans Freundin, und sie sah ihn mit ihren schwarzen Augen unverwandt an. Ihre gelben, runzligen Finger blieben immer in ihrem Schoß verschränkt, und ihre Augen blieben immer auf ihn gerichtet.
    Dreißig Jahre. Mann, das war eine lange Zeit.
    Doch im Verlauf dieser Jahre hatte Sully sie immer seltener zu Gesicht bekommen. Als er im Herbst 1970 nach Harwich zurückkehrte, sah er die alte mamasan noch fast jeden Tag - sie aß einen Hotdog im Commonwealth Park bei Platz B, stand in der ewigen Ebbe und Flut der Pendler am Fuß der eisernen Treppe, die zum Bahnhof hinaufführte, oder spazierte einfach die Main Street entlang. Und immer sah sie ihn an.
    Einmal, nicht lange nachdem er seinen ersten Job nach seiner Rückkehr aus Vietnam bekommen hatte (Autos verkaufen natürlich; es war das Einzige, was er wirklich konnte), hatte er die alte mamasan auf dem Beifahrersitz eines 1968er Ford LTD gesehen, auf dessen Windschutzscheibe mit weißer Farbe das Wort SUPERPREIS! gemalt war.

    Mit der Zeit werden Sie sie allmählich verstehen, hatte der Psychofritze in San Francisco ihm erklärt und sich geweigert, viel mehr zu sagen, sosehr Sully ihn auch bedrängte. Der Hirnklempner wollte etwas über die Hubschrauber hören, die zusammengestoßen und vom Himmel gefallen waren; der Hirnklempner wollte wissen, warum Sullivan Malenfant so oft »dieser Karten spielende Scheißkerl« nannte (Sully erzählte es ihm nicht); der Hirnklempner wollte wissen, ob Sully noch sexuelle Fantasien hatte, und wenn ja, ob sie deutlich gewalttätiger geworden waren. Sully hatte den Burschen irgendwie gemocht - Conroy hatte er geheißen -, aber das änderte nichts daran, dass er ein Arschloch war. Gegen Ende seiner Zeit in San Francisco war er einmal nahe daran gewesen, Dr. Conroy von Carol zu erzählen. Insgesamt gesehen war er froh, dass er’s nicht getan hatte. Er wusste nicht, was er von seiner alten Freundin halten, und erst recht nicht, was er über sie sagen sollte ( emotional zerrissen war Conroys

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