Atlantis
dieses Fahrrad kaufe, indem ich dir das Geld für alles andere gebe. Dann brauchst du auf nichts von all dem zu verzichten, was du haben willst.«
»Das ist nicht fair!«
Er wusste, was sie sagen würde, bevor sie es sagte, hatte sogar noch Zeit für den Gedanken, dass er sich das selbst zuzuschreiben hatte. »Das Leben ist nicht fair, Bobby-O.« Sie drehte sich wieder zum Spiegel und zupfte ein letztes Mal an dem praktisch unsichtbaren Träger eines Unterkleids unter dem rechten Schulterteil ihrer Bluse.
»Und einen Nickel für die Umkleidekabine?«, fragte Bobby. »Könntest du nicht wenigstens …«
»Ja, wahrscheinlich, ich denke schon«, sagte sie, und jedes Wort klang wie ein Peitschenschlag. Sie legte meistens Rouge auf, bevor sie zur Arbeit ging, aber heute Morgen kam ihre Gesichtsfarbe nicht nur aus einer Puderdose, und so wütend Bobby war, er wusste, dass er vorsichtig sein musste. Wenn er ebenso die Beherrschung verlor, wie sie es manchmal tat, würde er den ganzen Tag hier in der heißen, leeren Wohnung hocken und nicht mal auf den Flur hinaus dürfen.
Seine Mutter schnappte sich ihre Handtasche vom Tisch am Ende des Sofas, drückte ihre Zigarette so heftig aus, dass der Filter platzte, drehte sich dann um und sah ihn an. »Wenn ich zu dir sagen würde: ›Tja, bei uns gibt’s diese Woche nichts zu essen, weil ich bei Hunsicker’s ein Paar
Schuhe gesehen habe, die ich unbedingt haben musste‹, was würdest du dann denken?«
Ich würde denken, dass du eine Lügnerin bist, dachte Bobby. Und ich würde sagen, wenn du so pleite bist, Mama, was ist dann mit dem Sears-Katalog auf dem obersten Bord in deinem Schrank? Dem mit den Eindollar- und Fünfdollarscheinen und sogar ein oder zwei Zehnern drin, die an die Unterwäsche-Seiten in der Mitte geklebt sind? Was ist mit dem blauen Krug im Geschirrschrank in der Küche, ganz hinten in der Ecke, hinter der Soßenschüssel mit dem Sprung, dem blauen Krug, in dem du deine überzähligen Vierteldollars sammelst, in dem du sie schon immer gesammelt hast, seit mein Vater gestorben ist? Und wenn der Krug voll ist, rollst du sie ein, bringst sie zur Bank und kriegst Scheine dafür, und die Scheine wandern dann in den Katalog, nicht wahr? Die Scheine werden an die Unterwäscheseiten im Wunschbuch geklebt.
Aber er sagte nichts davon, sondern schaute nur mit brennenden Augen auf seine Turnschuhe.
»Ich muss Entscheidungen treffen«, sagte sie. »Und wenn du alt genug bist, um zu arbeiten, Sohnemann, dann musst du sie ebenfalls treffen. Glaubst du, es macht mir Spaß, Nein zu sagen?«
Das nicht gerade, dachte Bobby. Er hielt den Blick auf seine Turnschuhe gesenkt und biss sich auf die Lippen, die sich öffnen und Babygeblubber herauslassen wollten. Das nicht gerade, aber ich glaube, es macht dir auch nicht allzu viel aus.
»Wenn wir steinreich wären, würde ich dir fünf Dollar geben, die du am Strand auf den Kopf hauen könntest - zehn sogar, Herrgott noch mal! Dann müsstest du dir nichts
aus deinem Fahrradglas leihen, um deine kleine Freundin zu einer Fahrt auf der Looping-Achterbahn …«
Sie ist nicht meine Freundin!, schrie Bobby seine Mutter in Gedanken an. SIE IST NICHT MEINE KLEINE FREUNDIN!
»… oder der Westerneisenbahn einzuladen. Aber wenn wir steinreich wären, bräuchtest du natürlich gar nicht erst auf ein Fahrrad zu sparen, nicht wahr?« Ihre Stimme wurde lauter und lauter. Was immer ihr in den letzten paar Monaten zu schaffen gemacht hatte, es drohte jetzt in einem Schwall aus ihr herauszukommen, schäumend wie Sodalimonade und ätzend wie Säure. »Ich weiß nicht, ob dir das schon mal aufgefallen ist, aber dein Vater hat uns nicht gerade ein Vermögen hinterlassen, und ich tue mein Bestes. Ich gebe dir zu essen, ich sorge dafür, dass du was zum Anziehen hast, ich bezahle, damit du diesen Sommer ins Sterling House gehen und Baseball spielen kannst, während ich im heißen Büro Papiere hin und her schiebe. Du wirst eingeladen, mit anderen Kindern an den Strand zu fahren - das freut mich sehr für dich, aber wie du deinen freien Tag finanzierst, ist deine Sache. Wenn du Achterbahn und Karussell fahren willst, dann nimm was von deinem Geld in dem Glas, und tu’s. Wenn nicht, spiel einfach am Strand oder bleib zu Hause. Mir ist das gleich. Ich will nur, dass du mit dem Gequengel aufhörst. Ich kann es nicht leiden, wenn du quengelst. Das erinnert mich …« Sie hielt inne, seufzte, machte ihre Handtasche auf und holte ihre Zigaretten
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