Atme nicht
schließlich.
»Das sagt mir nichts!« Beim letzten Wort brach Nicki die Stimme, was mir durch und durch ging. Ich hatte gewollt, dass sie einsah, wie nutzlos das alles war, und erkannte, dass Andrea eine Schwindlerin war. Doch jetzt wollte ich, dass Andrea eine Verbindung zu Nickis Vater herstellte – oder zumindest irgendetwas Überzeugendes von sich gab. Mit angehaltenem Atem konzentrierte ich mich auf Andreas Gesicht und versuchte, ihr meine Gedanken zu übermitteln.
»Er … seine Stimme wird immer schwächer. Mal sehen, ob ich ihn wieder deutlicher empfangen kann.«
Ja, streng dich an, dachte ich. Nun mach schon, Andrea.
Die Klimaanlage schepperte und ächzte. Nicki leckte sich schniefend über die Oberlippe. Es zuckte mir so in den Beinen, dass ich am liebsten aufgesprungen und davongerannt wäre.
»Daddy«, sagte Nicki.
In dem Moment schaltete ich mich ein.
»Fragen Sie ihn, ob es ein Versehen war«, sagte ich.
Andrea zögerte.
»Fragen Sie ihn, ob er vielleicht gar nicht so weit gehen wollte«, fügte ich hinzu.
Kurz darauf nickte Andrea. »Ungefähr so war es, sagt er.«
Nicki zog scharf den Atem ein.
»Fragen Sie ihn, ob er damals einfach keinen anderen Ausweg gesehen hat«, fuhr ich fort. Wie lange würde es denn noch dauern, bis Andrea die Anspielungen verstand? »Vielleicht war ihm ja nicht klar, dass alles wieder besser werden könnte.«
»Er war so in seinem Schmerz gefangen«, sagte Andrea, die endlich begriffen hatte, »dass er die Konsequenzen seines Tuns nicht erkennen konnte.«
Jetzt, wo ich einmal damit angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. »Fragen Sie ihn, ob er einfach nicht wusste, was er sonst hätte tun können.«
»Wenn er könnte, würde er es jetzt anders machen.«
Nickis Blick wanderte zwischen uns hin und her. »Oh, mein Gott«, sagte sie.
Ich hatte es übertrieben, das war mir klar. Ich hatte zu viel geredet und zu dick aufgetragen. Trotzdem wusste ich, dass das, was ich gesagt hatte, etwas Wahres enthielt. Hey, vielleicht sprach ihr Vater nicht durch Andrea, sondern durch mich. Und war das nicht genau das, was Nicki gewollt hatte? Worum sie mich gebeten hatte?
Als wir wieder draußen auf der Straße waren, boxte Nicki mich mit der Faust gegen den Arm. »Bist du jetzt zufrieden?«
»Wie meinst du das?«
»Stell dich doch nicht dumm.«
»Nicki …«
»Du hattest also recht. Sie ist eine Schwindlerin. Freut dich das denn nicht?« Sie kickte eine leere Bierdose gegen die Mauer eines Hauses.
»Wie kommst du darauf, dass sie eine Schwindlerin ist?«
»Nun hör aber auf! Das war doch deutlich zu merken. Du hast ihr alles vorgesagt.«
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest«, erwiderte ich, hörte aber selbst, wie falsch meine Stimme klang.
»Hast du dich über mich lustig gemacht?«
»Nein.«
Sie fing an zu schluchzen. Ich brachte sie dazu, sich auf die niedrige, verfallene Mauer vor einem Lagerhaus zu setzen.
»Sie war so schlecht, dass ich noch nicht mal so tun konnte, als glaubte ich ihr.«
»Das tut mir leid«, sagte ich.
»Na klar.«
»Nein, ich meine … Sicher, ich hab damit gerechnet, dass es so kommt, aber ich wollte es eigentlich nicht. Mir wäre es lieber gewesen, es wäre alles so gelaufen, wie du es dir vorgestellt hast.«
Ich ließ zu, dass sie sich das Gesicht am Ärmel meines T-Shirts abwischte. Dann sah sie mich mit ihren geröteten Augen an, die immer noch in Tränen schwammen. »Warum hast du ihr diese Dinge denn überhaupt gesagt?«
»Weiß ich nicht.«
»Dachtest du, du könntest mich täuschen? Ich bin doch nicht blöd!«
»Ich hab gar nicht darüber nachgedacht. Es ist … einfach so aus mir herausgekommen.«
»Nun werde ich nie erfahren, warum er es getan hat.«
»Selbst wenn er jetzt hier wäre, könnte er dir das wahrscheinlich nicht sagen.«
Sie schniefte. »Er hätte doch einen Abschiedsbrief oder so was hinterlassen können. Warum hat er das bloß nicht getan?«
Sie holte tief Luft und wischte sich erneut das Gesicht an meinem Ärmel ab. »Hast du einen geschrieben?«
»Was?«
»Hast du einen Abschiedsbrief geschrieben?«
Ich leckte mir über die Lippen. Obwohl ich bei dieser Affenhitze wie verrückt schwitzte, war mein Mund aus irgendeinem Grund völlig ausgetrocknet. »Nein.«
»Warum nicht, verdammt noch mal?« Sie erhob sich und trat gegen die Mauer, auf der ich saß.
»Hör mal, hier geht es nicht um mich.«
»Aber da drinnen …« Sie zeigte auf das Haus des Mediums. »... da ging
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