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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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umzubringen, hätten sie sich sicher um dich gekümmert.«
    Was sie sagte, klang rundum vernünftig. Ich vergrub das Gesicht in meinen Armen und atmete tief durch. Die Couch roch schwach nach Rosen; die Putzfrau sprühte jede Woche etwas darauf, von dem wir in ein paar Jahren wahrscheinlich Krebs bekommen würden.
    Ich hätte wissen müssen, was ich mir damit antat, Nicki alles zu erzählen. Wie schlecht ich mich danach fühlen würde. Ich hatte so getan, als sei das alles nur ein Klacks für mich. Ich hatte mir eingeredet, dass ich dem armen Mädchen half, mit dem Tod ihres Vaters fertig zu werden, dass mich das Ganze aber nicht berühren, mich nichts kosten würde.
    Zumindest war ich beim Erzählen der Geschichte diesmal nicht zusammengebrochen wie bei der Gruppensitzung in der Klinik, als Val und Jake mich vom Fußboden hatten kratzen und wieder zusammenleimen müssen. Damals hatte ich zum ersten Mal richtig begriffen – im tiefsten Innern und nicht nur im Kopf –, was geschehen wäre, wenn ich den Zündschlüssel umgedreht hätte. Und mir war zum ersten Mal klar geworden, was für Riesenprobleme ich hatte. An jenem Abend war die Glasscheibe zersplittert.
    Jetzt, bei Nicki, war es nicht mehr ein solcher Hammer wie beim ersten Mal, trotzdem wühlte es mich mehr auf, als ich erwartet hatte. Es ging nicht mehr darum, Nicki zu helfen. Ich versuchte nur noch, nicht aus der Fassung zu geraten. Warum hatte ich überhaupt angenommen, ich könne ihr helfen? Für wen zum Teufel hielt ich mich eigentlich? Ich war weder ein Arzt noch sonst ein Experte. Ich hatte ihren Vater nie kennengelernt.
    Nicki legte mir die Hand auf den Rücken, so wie Val es mal gemacht hatte. »Bist du okay?«
    »Ja.«
    »Wirklich?«
    Ich drehte ihr mein Gesicht zu. »Ja.«
    »Tut mir leid, dass ich dich gezwungen habe, mir das zu erzählen.«
    »Das hast du nicht.«
    Sie sah stirnrunzelnd in Richtung Wand. »Doch. Ich habe so lange gedrängelt, bis du es mir erzählt hast.«
    »Hat es dir geholfen?«
    »Wie meinst du das?«
    »Hast du erfahren, was du wissen wolltest?«
    »Das … das weiß ich nicht.«
    Wir starrten einander an. Die Pupillen ihrer grauen Augen hatten sich im Licht, das durch das Fenster hereinkam, zusammengezogen.
    Danach gingen Nicki und ich nach draußen, um uns gegenseitig einen Baseball zuzuwerfen. Der Himmel hatte eine undefinierbare Farbe angenommen und sah ungefähr so aus wie schmutzige Milch. Ich weiß nicht mehr genau, wie wir darauf kamen, mit dem Ball zu spielen. Jedenfalls brauchten wir eine Ablenkung und mussten das, was wir zueinander gesagt hatten, erst einmal hinter uns lassen. Einer meiner alten Baseballhandschuhe aus der Zeit, als ich mit Dad trainiert hatte, passte Nicki.
    Zielen konnte sie ganz gut, aber ihre Technik war völlig daneben. » So musst du es machen«, sagte ich. »Nein … den Arm so nach hinten … passt du überhaupt auf?«
    Sie kicherte und versuchte, den Ball auf dem Fuß zu balancieren. »Du brauchst mir nicht gleich Unterricht zu geben, Coach«, sagte sie.
    Ich hielt sofort die Klappe. Das kannte ich nur zu gut von meinen Eltern, die früher aus jeder beknackten Sache etwas gemacht hatten, bei dem man »etwas lernen konnte«.
    »Es sei denn, du möchtest, dass ich dir hinterher Volleyballunterricht gebe«, fuhr sie fort.
    »Volleyball?«
    »Klar. Letztes Jahr war ich in meinem Team Zuspielerin.«
    Ich hatte mich im vergangenen Frühjahr nicht weiter um Baseball gekümmert. Gekonnt hätte ich es, da das Drüsenfieber ja lange genug zurücklag. Ich hatte überhaupt nichts gemacht, wofür ich zusätzlich Zeit an der Schule verbringen musste. Doch Nickis Worte versetzten mir einen Stich, und ich fragte mich, ob ich es dieses Jahr wohl geschafft hätte, ins Baseballteam aufgenommen zu werden. Ich fragte mich, wie gut ich noch gewesen wäre, nachdem ich so lange ausgesetzt hatte. Trotzdem sagte ich nur zu Nicki: »Na los, wirf mir den Ball zu.«
    Der Himmel wurde immer dunkler, ohne dass es sich abgekühlt hätte. »Ist das heiß!«, sagte Nicki, während der Ball zwischen uns hin- und herging und in unsere Handschuhe klatschte. »Wenn wir so weitermachen, muss ich noch mal zum Wasserfall.«
    »Bin ich dabei.«
    »Was man über dich sagt, stimmt wirklich«, meinte sie lachend. »Du lebst ja praktisch am Wasserfall.«
    Mein Wurf ging ein bisschen daneben, sodass sie sich strecken musste, um den Ball zu fangen. »Wer sagt das?«
    Ihr Gesicht wurde knallrot. »Na ja … dass du dort immer

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