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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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Terrasse. Die Wohnzimmerfenster schienen sich zu verflüssigen.
    »Was hast du denn den ganzen Tag gemacht?«
    Mal überlegen: Ich habe unter dem Wasserfall gestanden, ein angebliches Medium besucht, noch einmal die schlimmste Nacht meines Lebens durchlebt und mich mit Nicki gestritten. »Nicht viel.«
    »Man könnte sagen …« Sie musterte mein Gesicht. »… dass du den ganzen Sommer über nicht viel gemacht hast.«
    »Es sind doch Ferien.«
    »Ryan«, sagte sie, während sie Handfeger und Müllschippe aus dem Wandschrank holte. »Ich glaube, du solltest endlich wieder aktiv werden. Dein Vater und ich, wir sind sehr geduldig gewesen und haben dich nicht an der kurzen Leine gehalten, aber …«
    » Leine? «, unterbrach ich sie. »Bin ich vielleicht ein Hund?«
    »So habe ich das nicht gemeint.« Sie hielt mir Handfeger und Müllschippe hin. »Komm, feg die Scherben zusammen.«
    Ich gehorchte. »Ich bin nicht angeleint.«
    »Das war eine unglückliche Formulierung«, erwiderte sie. »Worauf ich hinauswill, ist, dass du ein geregeltes Leben brauchst. Vermutlich war es ein Fehler, dich im Sommer nicht in ein Ferienlager oder einen Sommerkurs zu schicken. Dass du dich so treiben lässt und keine Ziele hast, macht mir Sorgen.«
    »Aber ich habe Ziele.«
    »Und zwar?«
    »Ich werde wieder joggen.« Ich kippte die Glasscherben in den Mülleimer.
    »Das ist sehr schön«, sagte sie in honigsüßem Ton. »Aber ich dachte an etwas, das Zukunft hat und nicht nur ein Hobby ist.«
    »Könntest du bitte aufhören, mit mir zu reden, als sei ich fünf Jahre alt? Ich war zwar in der Psychiatrie, aber ich bin nicht debil.«
    Sie zog scharf den Atem ein. »Es macht dir Spaß, so etwas zu sagen, nicht wahr?«
    »Eigentlich nicht.«
    Sie klammerte sich an den Küchentresen. »Es macht dir Spaß, mich zu schockieren.«
    »Warum sollte dich das schockieren? Schließlich war ich doch in der Psychiatrie.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Aber du sagst so was immer auf möglichst hässliche Weise. Dr. Briggs meint, das gebe dir das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben.«
    Ich hasste es, wenn sie so mit mir redete – als schlage sie in einem Handbuch nach, und zwar unter dem Abschnitt mit der Überschrift »Wie man reagiert, wenn Ryan einen daran erinnert, dass er in der Klapsmühle war«. Ich warf Handfeger und Müllschippe in den Wandschrank, statt sie an die dafür vorgesehenen Haken zu hängen.
    »Ryan …« Ihr Gesicht nahm einen weinerlichen Ausdruck an, und ich wusste, dass ich aufhören, dass ich einen Rückzieher machen musste, weil sie beim geringsten Anlass ausflippte. Doch meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, sei es wegen des Geredes meiner Mutter, sei es, weil ich mich vorhin mit Nicki gestritten hatte. Jedenfalls wollte ich unbedingt, dass sie endlich den Mund hielt.
    Was sie aber nicht tat. »Ryan, du kannst uns nicht ständig deine Krankheit vorhalten. Das berechtigt dich nicht, unhöflich zu sein. Das …«
    »Du bist doch diejenige, die sie mir ständig vorhält.«
    Sie verlor die Beherrschung und fing an zu schluchzen, was sofort heftige Schuldgefühle bei mir hervorrief. Ich öffnete die Wandschranktür noch einmal, um Handfeger und Müllschippe ordentlich aufzuhängen. Meine Mutter heulte mit zuckenden Schultern weiter, die Hand gegen die Augen gepresst.
    Ich hätte sie umarmen oder ihr zumindest die Hand auf die Schulter legen sollen, aber das brachte ich nicht fertig. Ich stand da und trommelte mit den Fingern gegen meine Beine, während sie schluchzte und ihr die Tränen über die Finger liefen. Nach einer Weile raffte ich mich dazu auf, ein Papiertuch von der Rolle zu reißen und es ihr zu geben.
    »Danke«, murmelte sie und tupfte sich das Gesicht ab. »Warum gehst du nicht einfach nach oben«, sagte sie mit ruhiger, belegter Stimme, ohne mich dabei anzusehen.
    Als ich in meinem Zimmer war, stand ich eine Weile vor der Tür des Wandschranks. Es juckte mir in den Fingern, die braune Tüte vom obersten Regal zu nehmen und aufzumachen. Warum dieser Drang immer so stark war, wusste ich nicht. Besser fühlte ich mich dadurch jedenfalls nie. Schließlich wandte ich mich vom Schrank ab und ging zum Computer, um zu checken, ob Val oder Jake sich gemeldet hatten. Val war nicht online, aber Jake war da.
    »Was treibst du denn so?«, fragte ich.
    »Meine Mom will unbedingt, dass ich nach draußen gehe. Ich sage immer, draußen gibt’s nichts für mich zu sehen. Dann sülzt sie was vom Rasenmähen, bis ich ein

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