Atme - wenn du kannst!
man sie vielleicht auch hinter Gitter stecken würde. Diese Vorstellung war beinahe unerträglich, und ihre Augen wurden feucht.
In diesem Moment öffnete sich die Bürotür, vor der Emily und ihr Rechtsbeistand warteten. Ein weiblicher Detective sprach sie an.
„Miss Price? Kommen Sie bitte herein.“
Emily hatte butterweiche Knie, als sie den Verhörraum betrat. Die Einrichtung bestand nur aus vier Stühlen und einem Tisch, auf dem ein Tonbandgerät stand. Emily wurde aufgefordert, sich zu setzen. Der Anwalt war den Zivilcops offenbar bekannt, jedenfalls fragte ihn niemand nach seinem Namen. Die Beamten stellten sich als Detective Dorothy Stewart und Detective Sidney Bartlett vor. Emily wurde über ihre Rechte belehrt und stimmte zu, dass die Befragung per Tonband mitgeschnitten wurde.
Der Anwalt hatte nun endlich seine Aktenlektüre beendet.
„Was wird meiner Mandantin eigentlich zur Last gelegt, Detectives?“
„Wir haben den begründeten Verdacht, dass Emily Price ihren Exfreund Jim Meadows ermordet hat.“
Dr. Brennan lachte, klang aber nicht amüsiert.
„Begründeter Verdacht? Finden Sie nicht, dass zu einem begründeten Verdacht wenigstens eine Leiche gehört?“
Emily konnte dem Wortwechsel kaum noch folgen, weil es ihr so schlecht ging. Nun hatte Detective Dorothy Stewart endlich ausgesprochen, was Emily schon die ganze Zeit befürchtet hatte. Ihr Ex war spurlos verschwunden, und die Polizei glaubte an ein Gewaltverbrechen. Emily konnte nicht mehr an das denken, was geschehen war. Am liebsten hätte sie sich in ein Mauseloch verkrochen, aber so etwas gab es in diesem Verhörraum natürlich nicht. Und außerdem sahen diese Zivilcops nicht so aus, als ob sie Emily entkommen lassen wollten.
Detective Sidney Bartlett zählte an den Fingern ab, warum Emily unter Mordverdacht stand.
„Dr. Brennan, Ihre Mandantin wurde monatelang von Jim Meadows belästigt, sie hatte ihn bereits wegen Stalkings angezeigt. Leider konnte die Polizei Jim Meadows nicht stoppen, er war offenbar wie besessen von Emily Price. Ihre Mandantin hat mindestens einmal vor Zeugen gesagt, dass sie ihren Exfreund umbringen könnte. Jim Meadows ist seit einer Woche spurlos verschwunden, in seinem Zimmer wurde eine größere Menge Blut von ihm gefunden. Er verschwand an dem Abend, an dem seine Eltern gewohnheitsmäßig zum Bowling gehen. Als seine Exfreundin wusste Ihre Mandantin, dass Jim Meadows jeden Dienstagabend allein im Haus ist. Sein Zimmer befindet sich direkt neben dem Hinterausgang. Die Gasse hinter dem Gebäude ist finster. Es wäre kein Problem, die Leiche durch den Garten zu einem wartenden Auto zu schaffen und in den Kofferraum zu legen. Emily Price ist sportlich, sie hat bei der ersten Befragung angegeben, dass sie schwimmt und Gerätetauchen betreibt. Sie wäre also in der Lage gewesen, den Toten ohne fremde Hilfe abzutransportieren.“
„Wollen Sie meiner Mandantin einen Strick daraus drehen, dass sie körperlich fit ist?“
„Selbstverständlich nicht, Dr. Brennan.“
Der Anwalt machte eine ungeduldige Handbewegung.
„Es ist kein Staatsgeheimnis, dass Jim Meadows’ Eltern jeden Dienstag zum Bowling gehen. Das weiß übrigens jeder, der in Orlando Zeitung liest. Mr und Mrs Meadows spielen nämlich in einem erfolgreichen Amateur-Team und haben schon öfter Preise gewonnen. Die Trainingszeiten werden auch im Internet veröffentlicht. Außerdem gibt es noch zahlreiche andere Verdächtige, denn Jim Meadows ist ein Hitzkopf, der schon mit vielen Menschen aneinandergeraten ist – auch mit der Polizei. Und solange seine Leiche nicht gefunden wird, glaube ich auch nicht an seinen Tod.“
Detective Dorothy Stewart wandte sich nun direkt an Emily. Sie war noch jung, schätzungsweise Anfang dreißig. Die Polizistin bemühte sich um einen freundlichen Tonfall, so als ob sie eine gute Bekannte von Emily wäre.
„Ich kann verstehen, wie Sie sich gefühlt haben müssen, Miss Price. Man ist so hilflos, wenn man einen Stalker an den Hacken hat. Die Gesetze machen es diesen kranken Typen immer noch zu leicht. Jim Meadows hat Ihnen das Leben zur Hölle gemacht, Sie waren mit den Nerven völlig am Ende. Vielleicht haben Sie sich noch zu einer letzten Aussprache mit ihm getroffen. Aber dann gab es Streit. Ich glaube nicht, dass Sie ihn wirklich töten wollten, aber dann ist es doch passiert. War es so, Emily? Ich darf doch Emily sagen, oder?“
„Ja“, hauchte Emily. „Ich meine, nein. Also, Sie dürfen Emily sagen.
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