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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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darin herum. Der hielt sich mit durchgestreckten Armen an der Kante seines Stuhls fest, als wollte er sich abdrücken und davonspringen.
    »Hast du was von Paule gehört?«, fragte er, als sie von ihm abließ, und ich antwortete wahrheitsgemäß, dass sie Lio zum Geburtstag geschrieben habe. Etwas am Tonfall des Gesagten oder an meinem Gesichtsausdruck musste ihn zur Besinnung gebracht haben, denn er hakte nicht nach und unterbrach auch seine Frau, als diese den Mund öffnete, um Genaueres zu erfragen.
    Schweigen breitete sich aus. Max stocherte mit seiner Kuchengabel in der Karambole herum, ich schwitzte. Unter meinen Armen hatten sich nasse Flecken gebildet, der Hemdenstoff bewegte sich im kühlen Durchzug und ließ mich schaudern. Josefine, die vom Balkon zurückkam, rettete die Situation, indem sie Regula nach dem Rezept für das Dessert fragte und sie in ein Küchengespräch verwickelte. Max sprach weiter.
    »… das Exotische, das Andersartige, und wie in Europa damit umgegangen wurde«, er war auf sein eigentliches Thema gekommen, »Schaulust, Absonderung, vereinnahmendes Ersticken. Unsere Strategien im Umgang mit dem, was wir nicht normal finden.«
    »Jaja.« Ich wollte nicht mehr darüber reden, aber er ließ sich nicht au f halten.
    »Unser Unbehagen über die Differenz, über die Brüchigkeit dessen, was wir Normalität nennen, vor allem an den verschwimmenden Rändern, wo die Dinge nicht eindeutig zuzuordnen sind. Der harte Kern hingegen, unbeirrbar …«
    Josefine stand bereits wieder draußen und sah in die Nacht hinaus. Der Rock ihres Sommerkleids bauschte sich im Wind, sie schüttelte das Haar nach hinten, und ich sah, dass eine der geschwungenen Brauen, die sich weit in die Schläfen zogen, in einem Leberfleck endete. Sie hielt das windverblasene Haar zusammen, sah zu mir herein und lächelte. Dann machte sie mit der Hand das Zeichen eines Schnabels, der sich öffnete und schloss. Ich musste lachen.
    Max fragte irritiert, was sei.
    »Sorry, ich muss nach Hause«, sagte ich und fügte mit einer entschuldigenden Geste hinzu: »Lio.«
    Ich stand auf und verabschiedete mich. Lio. Ich wollte mein Kind sehen. Es schlief. Josefine hatte es in den Buggy gebettet und mit ihrem Schultertuch zugedeckt.
    »Warte, ich trag dir die Karre hoch.« Max sprang auf und begleitete mich vor die Tür.
    Hinter einem schmalen Glasfenster bewegten sich die dunklen Kabelstricke, die den Fahrstuhl nach oben brachten, und auf einmal sah ich den Schacht vor mir. Dreizehn Stockwerke, jedes drei Meter, der Abgrund, in den ich hinunterfahren würde.
    »Machs gut, ich melde mich.« Max klopfte mir auf die Schulter, und ich antwortete: »Ja, klar«, und richtete meinen besoffenen Blick auf den Freund, der mir auswich und Lio ansah, die fest schlief.
    »Weißt du«, setzte er an, »so ein Kind, ich wollte auch …«
    Ein Glockenton erklang, und mit einem schabenden Wischgeräusch öffneten sich die Türen des Fahrstuhls.
    »Aber Regula …«, fügte er noch an, doch da schlossen sich die Türen wieder, und ich stand mit der zum Gruß erhobenen Hand vor dem matten Metall, hinter dem Max’ trauriger Blick verschwunden war, und fuhr in die Tiefe.
    Taumelig außen und inwendig seltsam leicht und leer, schwankte ich nach Hause, froh über die Karre, an der ich mich festhalten konnte. Das war keine gute Idee, so viel Whisky zu trinken, dachte ich. Überhaupt keine gute Idee, eine Frau wie Josefine kennenzulernen und dann die Kontrolle zu verlieren. Ich fühlte mich wie eine löchrige Leichtmetallröhre, durch die der Sommerwind blies, schwankend und durchlässig, als könnte ich jeden Augenblick umfallen und von den warmen, staubigen Windstößen den Rinnstein hinabgetrieben werden. Eine leere Dose oder Getränkepackung, die ein Turnschuh übers Pflaster trieb. Leicht und leer, unerfüllt und hohl – eine gewichtslose Hülse, die ihre Bestimmung nicht kannte, und keinen Zweck erfüllte.

19
    Ständig auf der Suche nach etwas, von dem ich wusste, dass ich es nicht brauche, folgte ich einem Auftrag, von dem ich nicht wusste, wer ihn mir erteilt hatte, träumte ich, dass ich träume, und wünschte aufzuwachen. Da klingelte es.
    Verpennt und verschwitzt tappte ich zur Tür.
    Sie trug ein weißes ärmelloses Kleid und hatte ihre Kuhfelltasche umgehängt. Ihre Füße steckten in flachen Sandalen, auf deren schmalen Riemen eine Sonnenblume befestigt war. Die Haare hatte sie zum Pferdeschwanz hochgebunden und die Sonnenbrille auf den Kopf

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