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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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schon seit dem Studium befreundet sei, habe sie ein paar Tage drangehängt, um ihn und andere Leute von früher zu treffen. Nein, sie wohne in einer Pension, nicht bei Freunden, war ihre knappe Auskunft, und mir schien, ich war ihr mit meiner Frage zu nahegetreten. Ich schaute verstohlen auf ihre Hand. Sie trug den Ehering nicht. Dann wollte sie doch wissen, was ich mache, woran ich arbeite, weshalb Comic, sie interessiere sich zwar fürs Zeichnen, habe aber Comics immer als Kinderzeug betrachtet. » Abwarten«, erwiderte ich, » die Zeit der Comics und Graphic Novels für Erwachsene kommt erst.« Dann der Underground, die Bluesies, Eisner, Spiegelman, ja, den kenne sie, fiel sie mir ins Wort, jedoch, für sie kaum leserlich, könnte man das nicht anders, ich fragte, wie, da falle ihr jetzt auch nichts ein, so spontan, und wir schwiegen.
    »Si può mangiare«, rief Regula mit singender Stimme, Josefine ging hinein. Erwachsen. Eine erwachsene Frau mit erwachsenen Interessen, mit reifen Kenntnissen und klarem Ziel. Kinderkram. Lio, der Comic, Paule, mein Leben war ein Kinderkram. Ich warf die Zigarette über die Brüstung und sah ihrem Funkenflug nach, sah den Wind sie hochwirbeln, sie taumelte wie ein Glühwürmchen, sank und erlosch.
    Max, der bereits am Vormittag in den Keller gestiegen war und eine Flasche Bordeaux für den Abend ausgesucht und dekantiert hatte, schenkte Rotwein in frische Gläser, gerade so viel, dass jedes Glas zwei Fingerbreit gefüllt war. Regula servierte das Lamm, man stieß noch einmal an, dankte für die Einladung, trank auf das Wohl der Gastgeber. In die Stille des Weinverkostens hinein war ein knatterndes Geräusch zu hören, und ein stechender Geruch breitete sich aus. Ich setzte das Glas ab, die anderen lachten.
    »Fangt bitte ohne mich an, ich komme gleich wieder.« Mit Lio über dem einen, dem Rucksack über dem anderen Arm ging ich ins Bad, wo ich Lio auf der Fußmatte wickelte. Die Windel verknotete ich in einer Plastiktüte und warf sie in den Treteimer. Dann wusch ich die Hände und nahm meine Tochter, die zur Tür gerobbt war, auf den Arm. Die Blicke würden sich mir zuwenden, und die gesteigerte Aufmerksamkeit machte mir ein seltsames Gefühl der Hochstapelei, als ob ich die Vaterschaft nur behauptete und jederzeit entlarvt werden könnte, als hätte ich mir das Kind unrechtmäßig angeeignet und jeden Augenblick könnte ein aufgelöstes Mutterwesen in mein Leben treten und Anspruch auf Lio erheben, gestützt durch ein Herrschaftswissen über Säuglingspflege, Fürsorge, Elternliebe. Ein Gefühl, falsch zu sein, nicht mehr ich selbst, aber auch kein anderer, sondern eine Figur, die mit dem Konrad, der ich zweiunddreißig Jahre lang gewesen war, nicht annähernd mehr kongruent war. Als trüge meine Seele eine zu starke Brille, die zwei Bilder produzierte, einander zwar ähnlich, die sich jedoch nicht zur Deckung bringen ließen.
    Mittlerweile war die Sauce auf meinem Teller von einer dunklen Haut überwachsen, die Gemüsestücke glänzten gläsern und das Fleisch hatte die Fasern aufgestellt. Regula bot an, das Essen aufzuwärmen, ich bat sie, keine Umstände zu machen, und sie setzten das Gespräch fort, das sich um städtebauliche Entwicklungen der letzten Jahre und daraus resultierende Geschmacksfragen drehte. Ob eine zeitgenössische Wohnsiedlung der Altbauwohnung vorzuziehen sei oder doch die Genossenschaftswohnung mit Gartenanteil. Welche Quartiere noch bewohnt werden könnten, nachdem der Kreis Fünf nicht mehr infrage komme. Die offene Drogenszene, der hohe Ausländeranteil, Kriminalität, Prostitution. Ja, schon, aber das sei doch das einzige Viertel, in dem die Stadt großstädtisch sei, London, New York oder Berlin vergleichbar. Man kam auf die repressive Strategie der Polizei zu sprechen, über die Vorgehensweise gegen den Straßenhandel, die fehlende Gassenarbeit, was zur Verelendung der Junkies und zu Regulas Arbeit in einer Stelle für kontrollierte Methadonabgabe führte, und letztlich zu Einigkeit in der Tischrunde. Ich schwieg und stach beherzt in das erkaltete Kartoffelgratin, als Lio gurgelnde Geräusche machte. Sie lehnte über dem Bügel des Buggys, auf dem blanken Parkettboden glänzte eine bleiche Pfütze, ein Schleimfaden hing aus ihrem Mund.
    »Konrad, brauchst du was? Gehts Lio gut?«
    Regulas Anteilnahme bewirkte das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigte. Ich spürte eine Hitzewelle über den Rücken gehen, wischte das Erbrochene auf und ging mit dem

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