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Attack Unsichtbarer Feind: Ein neuer Fall für Special Agent Pendergast (German Edition)

Attack Unsichtbarer Feind: Ein neuer Fall für Special Agent Pendergast (German Edition)

Titel: Attack Unsichtbarer Feind: Ein neuer Fall für Special Agent Pendergast (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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des eigentlichen Chongg Ran. Zunächst blockierte er jedes Geräusch, jede Sinnesempfindung, eine nach der anderen: das Knarren des Gebäudes, das Säuseln des Windes, den harten Fußboden unter ihm, die scheinbare Unendlichkeit der eigenen Körperwahrnehmung, bis er schließlich den Zustand des
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erreichte: den Zustand der Reinen Leere. Einen Augenblick lang gab es nur Nicht-Dasein; sogar die Zeit selbst schien nicht mehr zu existieren.
    Dann aber – langsam, ganz langsam – tauchte etwas aus dem Nichts auf. Zunächst war es so klein, so zart, so schön wie ein Fabergé-Ei. Mit dem gleichen Mangel an Eile wurde es größer und klarer. Mit immer noch geschlossenen Augen ließ Pendergast es um sich herum Umriss und Gestalt annehmen. Und dann endlich öffnete er die Augen und fand sich in einem hell erleuchteten Raum wieder, einem prächtigen und eleganten Speisesaal, erfüllt von Licht und Kristall, dem Klirren von Gläsern und dem Gemurmel vornehmer Konversation.
    Zum Geruch von Zigarrenqualm und dem gekonnten Spiel eines Streichquartetts überblickte Pendergast das opulente Zimmer. Sein Blick schweifte über die Tische, bis er schließlich an einem in einer fernen Ecke haften blieb. Vier Herren saßen an dem Tisch. Zwei von ihnen lachten gemeinsam über irgendeine witzige Bemerkung – der eine trug einen Gehrock aus feinem schwarzem Tuch, der andere Abendgarderobe. Pendergast interessierte sich jedoch mehr für die anderen beiden Gäste. Der eine war extravagant gekleidet: weiße Glacéhandschuhe, Weste und Cutaway aus schwarzem Samt, eine große gerüschte Krawatte, seidene Kniehose und Strümpfe, mit Ripsbandschleifen verzierte Slipper. Im Knopfloch hing eine Orchidee. Er hatte eine sonore Stimme, sprach lebhaft, die eine Hand an die Brust gelegt, die andere himmelwärts gerichtet, der Zeigefinger ausgestreckt in einer Travestie Johannes des Täufers. Der Mann neben ihm, der seinem Gefährten an den Lippen zu hängen schien, zeigte eine ganz andere äußere Erscheinung, wobei der Kontrast so stark war, dass er fast schon komisch wirkte. Es handelte sich um einen untersetzten Mann, der in seinem gedeckten, vernünftigen englischen Anzug, den großen Koteletten und der ungelenken Körperhaltung aussah wie ein Walross im Sonntagsstaat.
    Es handelte sich um Oscar Wilde und Arthur Conan Doyle.
    Langsam näherte Pendergast sich dem Tisch und hörte genau zu, während die Unterhaltung – oder eher der Monolog – vernehmbar wurde.
    »Tatsächlich?«, sagte Wilde mit bemerkenswert tiefer Stimme. »Haben Sie geglaubt, dass ich – als einer, der sich glücklich auf dem Scheiterhaufen des Ästhetizismus opfern lassen würde – die Fratze des Grauens nicht erkenne, wenn sie mir entgegenstarrt?«
    Es gab keinen freien Platz. Pendergast wandte sich um, winkte einem Kellner, zeigte auf den Tisch. Sofort brachte der Mann einen fünften Stuhl und stellte ihn zwischen Conan Doyle und den Mann, der, wie Pendergast aufging, Joseph Stoddart sein musste.
    »Mir ist einmal eine so schauerliche Geschichte erzählt worden, so erschütternd in ihren Einzelheiten und im Ausmaß ihres Bösen, dass ich heute wirklich glaube, dass nichts, was ich höre, mich je wieder schrecken kann.«
    »Wie interessant.«
    »Möchten Sie die Geschichte hören? Sie ist aber nichts für Zartbesaitete.«
    Während er das Gespräch belauschte, das neben ihm stattfand, griff Pendergast nach einer Karaffe mit Wein, schenkte sich ein Glas voll und fand ihn ausgezeichnet.
    »Die Geschichte ist mir während meiner Lesereise durch Amerika vor einigen Jahren zu Gehör gekommen. Ich machte Halt in einer recht armseligen, aber pittoresken Bergbausiedlung namens Roaring Fork.« Wilde drückte die Hand auf Doyles Knie, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Nach meiner Lesung kam einer der Bergarbeiter auf mich zu, ein älterer Bursche, den der Alkohol zum Schlechten oder vielleicht auch zum Guten verändert hatte. Er nahm mich beiseite und sagte, meine Geschichte habe ihm so gut gefallen, dass er mir seine eigene erzählen wolle.« Er hielt inne und trank einen Schluck von dem Burgunder. »Kommen Sie, wenn Sie sich etwas näher zu mir herüberbeugen, ja, so ist’s recht, dann erzähle ich Ihnen die Geschichte genau so, wie sie mir zugetragen wurde.
    Ich versuchte, dem Mann zu entkommen, aber er ließ es nicht zu. Er beugte sich auf eine höchst vertraute Weise zu mir vor und hauchte mir dabei Schwaden des örtlichen Selbstgebrannten ins

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