Attack Unsichtbarer Feind: Ein neuer Fall für Special Agent Pendergast (German Edition)
noch essen noch schlafen. Sie saß einfach nur da, den ganzen Tag, jeden Tag, starrte in die Luft und verbrachte anschließend jede Nacht in der Zelle, auf dem Rücken auf der Pritsche liegend und ins Dunkel schauend.
»Corrine Swanson?«
Sie riss sich aus ihren Gedanken und blickte auf. Im Türrahmen stand ein Vollzugsbeamter mit einem Klemmbrett in der Hand.
»Hier.«
»Ihr Anwalt ist zu Ihrem Termin eingetroffen.«
Das hatte sie ganz vergessen. Sie erhob sich schwerfällig und folgte dem Beamten in ein separates Zimmer. Sie hatte das Gefühl, als sei die Luft dick und körnig. Ständig tränten ihr die Augen, aber sie weinte im Grunde nicht; es kam ihr eher vor wie eine bloße körperliche Reaktion.
Sie betrat einen kleinen Konferenzraum, in dem der Pflichtverteidiger am Tisch sitzend wartete, er hatte die Aktentasche aufgeklappt, mehrere braune Aktenmappen lagen auf sehr penible Weise fächerförmig vor ihm ausgebreitet. Er hieß George Smith, und sie waren schon einige Male zusammengetroffen. Er war mittleren Alters, schmächtig, hatte schütteres sandfarbenes Haar und trug ständig eine verzagte Miene zur Schau. Er war recht nett und meinte es gut mit ihr, aber er war kein Perry Mason.
»Guten Tag, Corrie.«
Wortlos nahm sie auf einem der Stühle Platz.
»Ich hatte mehrere Gespräche mit dem Bezirksstaatsanwalt«, begann Smith, »und, na ja, habe einige Fortschritte hinsichtlich einer Einigung erzielt.«
Corrie nickte apathisch.
»Also, das ist der Stand der Dinge: Sie bekennen sich schuldig, was den Einbruch, das unbefugte Betreten und die Entweihung eines menschlichen Leichnams betrifft, dann lässt die Gegenseite den Anklagepunkt geringfügiger Diebstahl fallen. Dann kriegen Sie zehn Jahre, höchstens.«
»Zehn Jahre?«
»Ich weiß. Ich hatte auf weniger gehofft. Aber gewisse Leute machen reichlich Druck, dass man Sie mit Anklagepunkten zuschüttet. Ich verstehe das zwar nicht ganz, aber es hat möglicherweise etwas mit der großen öffentlichen Aufmerksamkeit zu tun, die der Fall ausgelöst hat, und dem immer noch bestehenden Streit wegen des Friedhofs. Es soll ein Exempel an Ihnen statuiert werden.«
»Zehn
Jahre?
«, wiederholte Corrie.
»Bei guter Führung könnten Sie nach acht draußen sein.«
»Und wenn wir vor Gericht ziehen?«
Die Miene des Anwalts verdüsterte sich. »Völlig sinnlos. Die Beweise sind überwältigend. Es liegen hier mehrere schwere Straftaten vor, vom Einbruch bis hin zur Entweihung eines menschlichen Leichnams. Letzteres Vergehen allein kann mit einer Haftstrafe von bis zu dreißig Jahren geahndet werden.«
»Sie machen Witze – dreißig Jahre?«
»Die Gesetzesbestimmungen in Colorado sind besonders unerfreulich, weil es hier eine lange Vorgeschichte von Grabräuberei gibt.« Er hielt inne. »Schauen Sie, wenn Sie sich ›nicht schuldig‹ bekennen, ist der Staatsanwalt genervt und könnte durchaus die Höchststrafe fordern. Er hat das mir gegenüber bereits angedroht.«
Corrie starrte auf den zerkratzten Tisch.
»Sie müssen sich schuldig bekennen, Corrie. Es ist Ihre einzige Chance.«
»Aber … ich glaub’s einfach nicht. Zehn Jahre für das, was ich getan habe? Das ist mehr, als mancher Mörder kriegt.«
Langes Schweigen. »Ich kann mich ja immer noch an den Staatsanwalt wenden. Das Problem ist nur, Sie sind auf frischer Tat ertappt worden. Sie haben nichts in der Hand, womit Sie mit der Gegenseite einen Deal vereinbaren können.«
»Aber ich habe doch gar keinen menschlichen Leichnam entweiht.«
»Na ja, so wie das im Gesetzesparagraph formuliert ist, haben Sie das. Sie haben den Sarg geöffnet, haben die Knochen angefasst, haben sie fotografiert, und Sie haben zwei davon eingesteckt. So wird die Staatsanwaltschaft argumentieren, und ich hätte Mühe, das zu kontern. Es lohnt nicht das Risiko. Man wird die Geschworenen aus dem gesamten Bezirk zusammenziehen, nicht nur aus Roaring Fork, und es gibt da draußen viele konservative Rancher und Farmer, fromme Leute, die dem, was Sie getan haben, wenig abgewinnen können.«
»Aber ich hab doch nur versucht zu beweisen, dass die Spuren auf den Knochen …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende.
Der Anwalt breitete seine schmalen Hände aus, ein gequälter Ausdruck trat in das schmale Gesicht. »Mehr kann ich nicht tun.«
»Wie lange darf ich darüber nachdenken?«
»Nicht lange. Die können das Angebot jederzeit zurückziehen. Wenn Sie sich jetzt sofort entscheiden, wäre das am
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