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Attila - Die Welt in Flammen

Attila - Die Welt in Flammen

Titel: Attila - Die Welt in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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früher, oft schlimme, schaurige Träume, die mich des Nachts ungebeten heimsuchen. Um meine alte Ausgeglichenheit ist es zwar geschehen, doch vielleicht bin ich dafür ja ein besserer Chronist geworden. Wer möchte behaupten, dass Tacitus und Thukydides glückliche Menschen waren?
    Bei all den Grässlichkeiten, die ich zu sehen bekam, fragte ich mich oft, haben nicht die römischen Armeen ähnliche Gräueltaten verübt? Ja, zweifellos. Vielleicht nicht in diesem Ausmaß; vielleicht nicht so wahllos und mit solch unbändiger Lust an der Grausamkeit, sondern eher voll Ingrimm, mit zusammengebissenen Zähnen. Wenn man aber das Opfer ist, spielt es da eine Rolle, ob der Mörder, der einem die Kehle durchschneidet, dabei schmierig grinst oder nicht? Ich hielt mir vor Augen, dass die von Rom angewendete Gewalt nur Mittel zum Zweck war, der Durchsetzung und Sicherung von Frieden, Stabilität und der Herrschaft des Rechts diente, während die Gewalt der Barbaren nur um ihrer selbst willen verübt wurde, aus Lust am Gemetzel, und daher niemals enden oder gestillt sein würde.
    Heute aber bin ich eher unschlüssig. Finde in solchen Überlegungen keinen wirklichen Trost mehr. Ich weiß nur wenig mit letzter Gewissheit, und kann nur aufzeichnen, was ich gesehen habe. In meinem Alter habe ich keine Meinungen mehr, nur noch Erinnerungen.
     
    Ich hoffte, wenn Gewalt und Krieg auf Erden
    Verschwunden wär’, dass Alles glücklich würde,
    Und Friede mit dem Segen im Verein
    Das Leben uns’res Menschenstammes krönte.
    Doch Täuschung war’s …
     
    Und eine Schlacht gleicht so ziemlich der anderen, wenn man die Toten betrachtet, die danach zurückbleiben.
    * * *
    Unsere Reise war lang und beschwerlich, und ich döste oft im Sattel vor mich hin. Ich erinnere mich an ein schreckliches Gewitter, an vom Blitzschlag in Brand gesetztes Schilf, das selbst im prasselnden Regen lichterloh brannte. Ich erinnere mich an Übermüdung und Verwirrtheit, an maßlose Erschöpfung und daran, wie die Sonne eines Morgens im Westen aufzugehen schien. Ein schlechtes Vorzeichen.
    Das sich erfüllte, als wir zu den traurigen Überresten dessen kamen, was einst eine Stadt gewesen war: die erste von unzähligen Siedlungen, Dörfern, kleinen und größeren Städten, die uns auf unserem Weg begegnen sollten, zerstört und restlos in Trümmer gelegt von der Hand Attilas. Die wohlhabenden, goldenen Städte des Oströmischen Reiches, das sich von diesem Wüten nie wieder ganz erholen sollte. Die beiden hunnischen Gesandten, die uns als Führer durch dieses von ihrem eigenen Volk hinterlassene Ödland begleiteten, ließen beim Anblick der Verheerungen keinerlei Bedauern erkennen. Schuldgefühle betrachteten sie vermutlich als eine Art von Feigheit, wie die meisten Barbaren. Nur an einem Ort, an dem wir haltmachten, deutete der eine, Orestes, Grieche von Geburt – Schande über ihn! – über die trostlose Ödnis vor uns hin und sagte mit sanfter Stimme: «Nun seht ihr, warum es in Eurem Interesse wäre, zu verhandeln.» Dabei spielte der Anflug eines Lächelns um seine Lippen. Aëtius’ Miene verdüsterte sich vor Zorn, und er sprach tagelang kein einziges Wort mehr.
    Von der Stadt war nur noch ein geschwärztes Gerippe übrig geblieben, ein Gerippe aus verrußtem Holz und Stein, aus zertrümmerten Mauern, Gewölben und Stützpfeilern, die abgebrochen ins Leere ragten. Die Stadt war ein Bischofssitz gewesen, wie Philippopolis und Marcianopolis, und an der Stadtmauer hing die entblößte Leiche des Bischofs, den die Hunnen erstochen und dann dort aufgehängt hatten.
    «Wenn sie könnten, würden sie Christus selbst ins Gesicht speien», murmelte ich.
    «Ganz wie die Römer einst», sagte Prinz Theoderich, der neben mir ritt.
    Darauf wusste ich nichts zu erwidern.
    Einige wenige Einwohner hatten den Feuersturm und den Pfeilhagel überlebt. Ihr Leid erschütterte uns am meisten, denn sie dürften wohl die Toten beneidet haben. Kranke hatten Schutz in den Trümmern der Kirchen gesucht. Ausgezehrte, schwindsüchtig hustende Kinder bettelten uns mit knochigen Händchen um etwas zu essen an, aber wir konnten ihnen nicht helfen. Ein kleines Mädchen saß mit einem Säugling auf dem Schoß unter einem halb zertrümmerten Altar aus Stein und sah mich mit großen dunklen Augen an, das Gesicht umrahmt von zerzaustem, verdrecktem Haar. In einer Seitenstraße, die nur noch aus Schutt und Trümmern bestand, kauerten noch mehr furchtbar abgemagerte Kinder mit

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