Attila - Die Welt in Flammen
unnatürlich aufgeblähten Bäuchen. In der Nähe, von den Kleinen aber gottlob unbemerkt, lagen die Leichen zweier skalpierter Erwachsener mit wie von Salböl geschwärzten Schläfen. Nun hatte ich endgültig genug und mochte das Elend in der Stadt nicht mehr mit ansehen.
Ich ritt über Pflastersteine, die braun von geronnenem Blut waren, und mein Pferd trampelte über ein zerfleddertes Gebetbuch hinweg, ein bebildertes Euchologion, in dessen zerfetzten Seiten nur noch der Wind blätterte. Traurige Litaneien von der Sterblichkeit allen Fleisches gingen mir durch den Kopf. Mein früherer Schüler stieg wieder auf sein Pferd und warf einen letzten Blick auf die Trümmerlandschaft. «Und der Kaiser glaubt, er könnte mit so etwas verhandeln», sagte er und schickte sich an weiterzureiten.
Ein Stück weiter weg hielt er noch einmal an. Sein Kopf war gesenkt, und mit den großen, vernarbten Händen hielt er sich vorne an seinem Sattel fest. Sein umschattetes Gesicht zeigte denselben beherrschten, strengen Ausdruck wie immer, doch ich sah mit Staunen, dass ihm Tränen über die hageren Wangen rannen und dunkel auf das Sattelleder tropften. Warum aber hätte mich das erstaunen sollen? So war Aëtius eben: voll tiefer Leidenschaft und eiserner Selbstbeherrschung.
Er wandte sich im Sattel um. Hinter uns ritt die Kolonne der Wolfskrieger in ihren roten Umhängen, dann die byzantinischen Gesandten und zuletzt die schweigsamen Hunnen mit ihren ungerührten Gesichtern. Die Kranken und die verhungernden Kinder ließen wir zurück. Mit zitternder Stimme sagte Aëtius: «Ihnen können wir jetzt nur noch helfen, indem wir Attila besiegen.»
Ich verstand. Es war, als wollte er mich um Verzeihung dafür bitten, dass er weiterritt und nicht hier und jetzt zu helfen versuchte. Ich nickte. So entsetzlich es auch war, wir konnten das Leid hier nicht lindern. Wir konnten unseren Proviant nicht hergeben, führten keinerlei Arznei mit uns. Die Menschen waren zu geschwächt, um sie mitzunehmen, und nach Konstantinopel würden sie es erst recht nicht schaffen. In ein paar Tagen würden sie einfach … verlöschen. Ihre Seelen würden schon gnädige Aufnahme finden. Ich nickte noch einmal, beruhigend, wie ich hoffte. Wir mussten den Auftrag des Kaisers ausführen und mit Attila reden. Dann mussten wir in die Hauptstadt zurückkehren. Dort gab es eine Million Menschen oder sogar mehr, die wir retten könnten. Und dazu noch … das übrige Imperium.
Die beiden Prinzen schlossen zu Aëtius auf, flankierten ihn zu beiden Seiten, gefolgt von den Wolfskriegern Valamir und Jormunreik, zwei kräftigen, breitschultrigen Hünen. Keiner von ihnen sagte ein Wort, doch die Bedeutung ihrer Geste war klar: Sie ritten mit Aëtius durch dick und dünn, komme, was da wolle.
Mit den beiden Hunnen wurde von da an nicht mehr gesprochen.
* * *
Unser Nachtlager schlugen wir im groben, struppigen Gras am Hang eines Hügels in der Nähe auf. Lieber hätten wir unten in den lieblichen grünen Flussauen kampiert, aber dort lagen die Knochen Erschlagener überall verstreut, und das Wasser war verseucht.
In den folgenden Tagen kamen wir an immer mehr Geisterstädten vorbei, eine so verwüstet wie die andere. Auf der Landstraße sahen wir von fern versprengte Grüppchen von Flüchtlingen, die verängstigt vor uns in die Wälder flohen. Eine alte Frau konnte nicht fliehen. So erschütternd es ist, eine Mutter um ihr totes Kind wehklagen zu sehen, noch schlimmer ist der Anblick einer alten Frau, die ihren ebenso betagten Mann bejammert, der vor ihr tot im Schlamm liegt, verkrümmt wie ein dürrer, abgeknickter Zweig. Der Gefährte, mit dem sie ihre letzten, stillen Tage hatte verbringen wollen.
Nachdem wir die Ebene mit den verwüsteten Städten hinter uns gelassen hatten, führte unser Weg zunächst durch sanft ansteigendes Vorgebirge und dann durch karge, karstige Berge und über tiefe Schluchten. Eine wild verwegene Gegend, in der das ordnende römische Recht wenig Geltung besaß. Die Männer hier trugen mit dicken Lederriemen gegürtete Jacken aus Schafsfell, und Frauen waren nur an ihrem heimischen Herd in Sicherheit. Wir überquerten viele Flüsse in primitiven Kanus. In den Dörfern, in denen wir rasteten, bewirtete man uns mit Met und Hirsebrei statt mit Wein und Weizenbrot.
Später auf unserer Reise fanden wir nur noch verlassene Dörfer vor und mussten uns mühsam von dem ernähren, was wir in der Natur auftreiben konnten.
Dann kamen wir zu einem
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