Attila - Die Welt in Flammen
herum. Aëtius’ graue Augen waren reglos, er sah stur geradeaus. Er machte keine Bewegung, um sich zu schützen.
«Ich werden dir deinen Kalvarienberg zeigen, du, du …» Kaiserliche Spucke flog Aëtius ins Gesicht. «Du unverschämter Verräter! Haltet ihn an den Armen fest!»
Vier Wachen ergriffen ihn, zwei an jedem Arm. Er leistete keinen Widerstand, unternahm nicht einmal den Versuch. Er blickte die vier nur von der Seite an. Es waren beinahe noch Jugendliche, achtzehn oder neunzehn, Neulinge, gehorsame Sklaven. Obwohl sie ihn kaum kannten, wichen sie seinem Blick aus. Er wollte etwas zu ihnen sagen in diesem letzten Augenblick, denn er wusste ja, dass sie keine Schuld hatten, doch plötzlich war sein ganzer Körper von Todesfurcht ergriffen und seine Kehle war wie zugeschnürt. Valentinian hatte nämlich eine lange Klinge hervorgezogen und sie ihm zwischen die Rippen gebohrt. Aëtius schnappte nach Luft, seine halb geschlossenen Lider zitterten. Wie im Nebel sah er die Fratze des Kaisers, sein spuckebeflecktes Kinn, das beinahe sein eigenes berührte, als dieser ihm das Messer im Bauch umdrehte.
Die vier Wachen ließen seine Arme los und traten zurück, Aëtius strauchelte. Erst in dem Augenblick scharten sich die anderen Höflinge und Berater mit gezücktem Dolch um den Mann, der sie ein Dutzend Mal vor dem Ruin gerettet hatte. Nur der alte Quintilian blieb im Hintergrund stehen.
Sein Blick war vom Tod verschleiert und verschwommen, sein Körper wand sich und sank zu Boden – doch was sah er, als er den letzten Atemzug tat? Sah er den Triumphbogen, die Stadt auf den sieben Hügeln, die große Sankt-Peters-Basilika, das Kapitol? Sah er seine geliebten Legionen, deren scharlachrote Federbüsche und Wimpel im Winde wehten? Sah er das grimmige Antlitz seines Feindes, der Geißel Gottes? Oder sah er Jerusalem vor sich?
Als sie da standen und auf den tödlich verwundeten Körper starrten, hörten sie Quintilians Stimme hinter sich.
«Euer Majestät», sagte er ruhig. «Ihr habt Eure rechte Hand mit Eurer Linken abgehackt.»
* * *
Für Aëtius stimmte niemand Lobgesänge oder Klagelieder an. Leser, nicht ich selbst denke mir diese Ironie des Schicksals aus. Ich kann nur die Wahrheit kundtun. Aëtius’ Trauerzug bestand nur aus einer Handvoll Menschen, eine Handvoll in ganz Italien! Die meisten seiner Freunde fielen auf den Katalaunischen Feldern. Hätte die Nachricht Britannien rechtzeitig erreicht, wäre dort getrauert worden. Am Hof der Visigoten in Tolosa herrschte tiefe Trauer. Doch in seiner Heimat …
Attila, der Zerstörer, wurde von seinem stolzen Volk, das ihn so vergötterte, unter Lobpreisungen, allgemeiner Verherrlichung und prächtigen Bestattungsriten zu Grabe getragen.
Aëtius, der Retter, der letzte und edelste Römer von allen, dem die Christenheit und der Westen auf ewig zu Dank verpflichtet sein sollte, Aëtius’ erschlagener Leichnam wurde in Sackleinen gehüllt und heimlich in einen Sumpf geworfen. Zumindest dies hat er mit seinem großen Feind gemeinsam: Niemand weiß, wo er bestattet liegt.
Und doch können so viele Gläubige nicht irren, und die Geschichte dieser Welt ist ja auch nur das eine; doch es gibt auch eine andere Geschichte, in der ihm Gerechtigkeit widerfahren wird. Möge es so sein! Andernfalls diese Welt hier nicht mehr wert wäre als eine Handvoll Dung.
* * *
Die Witwe von Kaiser Theodosius, Eudoxia, war noch in Jerusalem, als sie von Aëtius’ Tod erfuhr. Sie ging augenblicklich in die Grabeskirche, um dort zu beten. Sie betete lange Zeit. An vielen Abenden danach sah man sie auf einer mondbeschienenen Terrasse sitzen und auf die Goldene Stadt Davids blicken.
Sie kehrte nie wieder nach Konstantinopel zurück.
* * *
Nur wenige Wochen darauf beobachtete Kaiser Valentinian Soldaten bei ihrem Kampftraining auf dem Marsfeld, als er plötzlich von zweien von ihnen angegriffen und erschlagen wurde. «Für einen Gott stirbt er ziemlich rasch», bemerkten die beiden. Keiner der anderen Soldaten kam ihm zu Hilfe. Einige behaupteten, die beiden Mörder hätten unter Aëtius gedient und sogar in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern zusammen mit ihm gekämpft. Einer soll dem Vernehmen nach Zenturio gewesen sein, mit unerschütterlicher Haltung und stahlhartem Blick.
Zwei Jahre später segelten die Vandalen den Tiber hinauf und plünderten Rom. Sie waren aus Karthago herübergekommen. Die Plünderung war erbarmungslos, denn es gab kaum Gegenwehr, und
Weitere Kostenlose Bücher