Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
sie wissen. Ich will alles über sie wissen. Martha kann mir sicher was dazu sagen. Martha behält alle Leute im Auge.
»Danke«, sage ich, bin mir aber nicht sicher, wofür ich ihr eigentlich danke.
»Keine Ursache.« Jesse lächelt wieder. »Gehört alles zum Service.«
Ihr Lächeln verblasst, als sie Caro am Fenster vorbei auf einen Mini-Cabrio zustolzieren sieht, der am Bordstein geparkt ist.
»Viel Glück«, fügt sie hinzu, als Caro ins Auto steigt und die Tür zuschlägt.
4
»Und fragen: Welchen sollen wir töten?
Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen
Wenn man fragt, wer wohl sterben muss.
Und dann werden Sie mich sagen hören: Alle!«
Seeräuber-Jenny, aus:
Die Dreigroschenoper
von
Bertolt Brecht und Kurt Weill
Seeräuber Jenny. Das ist ein Spiel von mir. Ein Spiel, bei dem ich auswähle, wer eins draufkriegt und wer nicht. Das vertreibt die Zeit. Ich sitze mit meiner Mutter und ihren Freundinnen im
Rendez
. Alle nennen es so.
Rendez
– Abkürzung von
Rendezvous
. Sie versuchen, einen auf französisch zu machen: abgewetzte Holztische, große Spiegel,
pot au feu
auf der mit Kreide geschriebenen Speisekarte. Die Spiegel sind echt, keine Nachahmungen. Ich blicke oft und lange hinein, da sollte ich es wissen. Sie lassen das Café dunkler erscheinen, geheimnisvoller, und die Leute sehen irgendwie glamourös aus. Die Wirklichkeit geben sie vielleicht nicht wieder, doch sie eignen sich gut dafür, sich Opfer auszusuchen.
Meine Mutter trifft sich hier mit ihren Freundinnen, um Wein zu trinken und zu quatschen. Normalerweise komme ich nicht mit, aber heute bin ich nicht darum herumgekommen. Sie hatte etwas für mich getan, und jetzt muss ich etwas für sie tun.
Quid pro quo
. Sie war mit mir an der neuen Schule, für die ich mich angemeldet habe. Wir haben den Schulleiter getroffen: Anzug von Armani, steht
auf sich selbst. Steht auch auf mich, so, wie er mich gemustert hat. Und auf meine Mutter. Also ein kleiner Drecksack.
Nur ein vorbereitendes Gespräch, wir werden sehen, ob wir uns mögen.
Stichwort: herzliches Lachen, während sein Blick von ihren Beinen zu meinem Ausschnitt wechselt.
»Danach brauche ich was zu trinken.« Sie schüttelt sich scherzhaft angewidert, sobald wir aus seinem Büro draußen sind. »Gehn wir ins
Rendez
.« Sie sagt das so, als wäre es eine originelle, spontane Idee. »Meine Freundinnen wollen dich unbedingt sehen.«
Sie sagt das, obwohl es überhaupt nicht stimmt. Ihre Freundinnen haben kein Interesse an mir. Tatsächlich will sie, dass ich mitkomme, weil ich fahren und sie dann so viel trinken kann, wie sie will.
Mein Stiefbruder ist auch da. Wir haben ihn von seiner Nachmittagsbetreuung abgeholt. Ich trinke eine Cola light. Er arbeitet sich durch eine Schüssel mit Pommes. Wir sprechen nicht miteinander, und Mutter und ihre Freundinnen beachten uns nicht. Sie hat massenhaft Freundinnen. Vernetzung nennt sie das, und sie ist gut darin. Alle ihre Freundinnen stehen auf meiner Liste.
Sie nehmen meine Gegenwart kaum wahr. Sie setzen ihr endloses Gespräch darüber fort, wie beschissen ihr Leben, ihre Arbeit, ihr Mann oder Freund ist oder irgendeine Kombination oder ein Mangel davon. Sie reden nie über etwas anderes.
Meine Mutter sitzt zur Seite gewandt da. Sie unterhält sich, lacht und lächelt mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. Immer mal wieder dreht sie sich um, um sich im Spiegel zu überprüfen, und sieht mich an.
Spieglein, Spieglein an der Wand …
Nicht du, liebe Mutter. Jetzt nicht mehr.
Ich fange ihren Blick auf: Neid gemischt mit Bewunderung. Ich bin
auch als ihr Zubehör hier. Seit ich klein war, schleppt sie mich herum – ich sah als Kind richtig süß aus. Sie liebt es, bei ihren Freundinnen mit mir anzugeben. In der letzten Zeit nicht mehr so sehr. Langsam bemerkt sie die Konkurrenz.
Doch ich schaue nicht nach ihr, nicht einmal nach mir selbst. Ich schaue zu den beiden Jungs. Der dunkle ist Jamie Maguire, Marthas Bruder. Den anderen kenne ich nicht, aber ich hab ihn hier schon gesehen. Auf eine etwas langweilige Art ist Jamie gar nicht so übel. Er trägt einen blauen Pullover und Jeans, als würde seine Mum ihm immer noch die Klamotten kaufen. Ich finde das ziemlich süß. Die Bedienung kommt mit ihrem Kaffee. Die kenne ich auch, Jesse. Der Blonde fängt an, mit ihr zu flirten, blickt durch seine blonden Wimpern zu ihr hoch. Jesse lächelt zurück, geduldig, aber er ist es gar nicht. Sie ist mehr an Jamie interessiert, doch
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