Auch Deutsche unter den Opfern
»Bild«-Zeitung am Hotellobby-Kamin erzählen, wie es dazu kam
und so weiter. »Wie finden Sie Udos Stil?«, fragt der Mann von der »Bild«, und
Schneider überlegt nicht lang: »Postmodern.« Der »Bild«-Mann lacht unsicher, das war
doch jetzt wohl hoffentlich ein Warmwerdwitz?
9. Der Greis ist heiß
Alte Männer sind gefährlich
Denn die Zukunft ist egal
24. Juli 2006, kurz vor null Uhr. Unter einem Vorwand habe
ich meinen Freund Moritz von Uslar am Vorabend seines Geburtstags in die Bar des
»Hotel Atlantic« gelotst. Er gehört zu den vernünftigen Männern, die weinen, wenn
sie bestimmte Lindenberg-Lieder hören. Wie verabredet kommt nun Lindenberg um die
Ecke, er trägt eine Latex-Greisen-Maske, beugt sich zum erstaunten Uslar herunter
und sagt: »Wir werden alle älter, nicht wahr? Gleich kommt ein junger Kollege, die
Nachtigall Udo Lindenberg, der möchte Ihnen ein kleines Ständchen zwitschern, ich
hol ihn mal.« Der Maskenmann verschwindet hinter einer Säule, kommt als Udo wieder
hervor, tänzelt zum Barklavier rüber, an dem derPanikband-Keyboarder Hendrik Schaper schon die ersten Töne von Uslars
Udo-Lieblingslied intoniert, schlaggenau um null Uhr lindenbergt sich Udo in die
erste Strophe, »Düpndödüp« – und dann: »Wir war’n zwei Detektive, die Hüte tief im
Gesicht …«
Weinend freuten wir uns auf unseren 60. Geburtstag.
10. Woddy Woddy Wodka
Denn hier unten bei den Normalos
Nee, da hält er’s nicht mehr aus
Nur da oben bei Daniel Düse
ist sein wirkliches Zuhaus
Ab einem gewissen, höheren Alter hat ja ganz streng
gesunde, von jedem Laster abstinente Lebensführung einen starken Hau ins Lächerliche
– als könnte man die Grubeneinfahrt ewiglich rauszögern! Wofür bitteschön so »fit«?
Aber Überleben ist schon auch nicht schlecht. Lindenberg
hat jahrzehntelang die körpereigenen Belastungsgrenzen immer wieder übersprungen
oder unterkrochen, er hat aus den Exzesserfahrungen große Texte gewonnen – »dicht
gedichtet und nüchtern gegengelesen«, lautet seine diesbezügliche
Standardkoketterie. Er hat Glück und Elend von Rausch und Sucht so süßweich wie
knallhart besungen, als Profi auf diesem Gebiet weiß er natürlich, dass er nur
nüchtern wirklich gut ist – aber wozu, für wen, für was denn eigentlich »dieser
Stress«, immer wirklich gut zu sein?
Anfang des Jahres wollte er mal wieder kurz »checken«, wie
genau das noch mal ist, wenn es einem richtig scheiße geht, denn eventuell ist es ja
kurz vorher kurz himmlisch schön? Einen Versuch war und ist ihm das immer wieder
wert. Als die Zeitungen ihn noch im Krankenhaus wähnten, standen wir in einem seiner
Verstecke, hoch über der Alster, nicht weit vom, aber eben nicht im »Atlantic«. Der
Fall war erledigt, Udo selbstzum Glück nicht, da gab es nichts
groß zu besprechen, lieber setzten wir uns in seinen neuen Porsche, fuhren durch die
Nacht und hörten einige der gerade fertig gewordenen Lieder. Diese enthalten alles,
was Lindenberg bis heute »zum Thema« beizutragen hat, und wie jede große Poesie ist
sie etwas weiser als ihr Urheber. Froh, dass es sich nicht umgekehrt verhält, gab
Udo Gas, und wir fuhren Richtung Licht.
11. Nasses Gold
Wahnsinn und Genie – hat er oft gedacht
Was für ’n schönes Paar, besonders an der
Bar
Als jemand ihm in der Materialanhäufungsdetektivphase vor
Aufnahme dieser seiner neuen, seit Jahrzehnten besten Platte einen Text zu singen
vorschlug, dessen Erzähler melancholisch aus dem Fenster guckt, sagte Lindenberg:
»Nö – ich bin ja nich’ so der Ausm-Fenster-Gucker. Ich geh ja lieber runter in die
Bar.« Dort hat er noch immer das meiste gesehen, und sei es, dass er dafür nichtmal
die Augen öffnen musste.
Als er sich mal wieder für ein paar Tage und Nächte
abmeldete und von dort oben, beziehungsweise unten, lapidar per SMS mitteilte, dass
nunmal die Tage alle gleich lang, aber verschieden breit seien, kaufte ich ihm an
jedem der folgenden, von ihm breit verbrachten Tage eine schmale Krawatte, die gab
es in einem Laden an der Mönckebergstraße gerade im Angebot, aber so viele wurden es
dann zum Glück gar nicht.
Lindenberg hat so viele einzigartige Tricks drauf, dass er
sich einige der besonders banalen zu erlernen weigert – eine Krawatte umbinden zu
können gehört dazu. Also versah ich die schmalen Kragenschmuckanhängsel mit einer
Schlupfschlaufe, er muss sie
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