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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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»Bild«-Zeitung am Hotellobby-Kamin erzählen, wie es dazu kam
     und so weiter. »Wie finden Sie Udos Stil?«, fragt der Mann von der »Bild«, und
     Schneider überlegt nicht lang: »Postmodern.« Der »Bild«-Mann lacht unsicher, das war
     doch jetzt wohl hoffentlich ein Warmwerdwitz?
    9. Der Greis ist heiß
    Alte Männer sind gefährlich
    Denn die Zukunft ist egal
    24. Juli 2006, kurz vor null Uhr. Unter einem Vorwand habe
     ich meinen Freund Moritz von Uslar am Vorabend seines Geburtstags in die Bar des
     »Hotel Atlantic« gelotst. Er gehört zu den vernünftigen Männern, die weinen, wenn
     sie bestimmte Lindenberg-Lieder hören. Wie verabredet kommt nun Lindenberg um die
     Ecke, er trägt eine Latex-Greisen-Maske, beugt sich zum erstaunten Uslar herunter
     und sagt: »Wir werden alle älter, nicht wahr? Gleich kommt ein junger Kollege, die
     Nachtigall Udo Lindenberg, der möchte Ihnen ein kleines Ständchen zwitschern, ich
     hol ihn mal.« Der Maskenmann verschwindet hinter einer Säule, kommt als Udo wieder
     hervor, tänzelt zum Barklavier rüber, an dem derPanikband-Keyboarder Hendrik Schaper schon die ersten Töne von Uslars
     Udo-Lieblingslied intoniert, schlaggenau um null Uhr lindenbergt sich Udo in die
     erste Strophe, »Düpndödüp« – und dann: »Wir war’n zwei Detektive, die Hüte tief im
     Gesicht …«
    Weinend freuten wir uns auf unseren 60. Geburtstag.
    10. Woddy Woddy Wodka
    Denn hier unten bei den Normalos
    Nee, da hält er’s nicht mehr aus
    Nur da oben bei Daniel Düse
    ist sein wirkliches Zuhaus
    Ab einem gewissen, höheren Alter hat ja ganz streng
     gesunde, von jedem Laster abstinente Lebensführung einen starken Hau ins Lächerliche
     – als könnte man die Grubeneinfahrt ewiglich rauszögern! Wofür bitteschön so »fit«?
    Aber Überleben ist schon auch nicht schlecht. Lindenberg
     hat jahrzehntelang die körpereigenen Belastungsgrenzen immer wieder übersprungen
     oder unterkrochen, er hat aus den Exzesserfahrungen große Texte gewonnen – »dicht
     gedichtet und nüchtern gegengelesen«, lautet seine diesbezügliche
     Standardkoketterie. Er hat Glück und Elend von Rausch und Sucht so süßweich wie
     knallhart besungen, als Profi auf diesem Gebiet weiß er natürlich, dass er nur
     nüchtern wirklich gut ist – aber wozu, für wen, für was denn eigentlich »dieser
     Stress«, immer wirklich gut zu sein?
    Anfang des Jahres wollte er mal wieder kurz »checken«, wie
     genau das noch mal ist, wenn es einem richtig scheiße geht, denn eventuell ist es ja
     kurz vorher kurz himmlisch schön? Einen Versuch war und ist ihm das immer wieder
     wert. Als die Zeitungen ihn noch im Krankenhaus wähnten, standen wir in einem seiner
     Verstecke, hoch über der Alster, nicht weit vom, aber eben nicht im »Atlantic«. Der
     Fall war erledigt, Udo selbstzum Glück nicht, da gab es nichts
     groß zu besprechen, lieber setzten wir uns in seinen neuen Porsche, fuhren durch die
     Nacht und hörten einige der gerade fertig gewordenen Lieder. Diese enthalten alles,
     was Lindenberg bis heute »zum Thema« beizutragen hat, und wie jede große Poesie ist
     sie etwas weiser als ihr Urheber. Froh, dass es sich nicht umgekehrt verhält, gab
     Udo Gas, und wir fuhren Richtung Licht.
    11. Nasses Gold
    Wahnsinn und Genie – hat er oft gedacht
    Was für ’n schönes Paar, besonders an der
     Bar
    Als jemand ihm in der Materialanhäufungsdetektivphase vor
     Aufnahme dieser seiner neuen, seit Jahrzehnten besten Platte einen Text zu singen
     vorschlug, dessen Erzähler melancholisch aus dem Fenster guckt, sagte Lindenberg:
     »Nö – ich bin ja nich’ so der Ausm-Fenster-Gucker. Ich geh ja lieber runter in die
     Bar.« Dort hat er noch immer das meiste gesehen, und sei es, dass er dafür nichtmal
     die Augen öffnen musste.
    Als er sich mal wieder für ein paar Tage und Nächte
     abmeldete und von dort oben, beziehungsweise unten, lapidar per SMS mitteilte, dass
     nunmal die Tage alle gleich lang, aber verschieden breit seien, kaufte ich ihm an
     jedem der folgenden, von ihm breit verbrachten Tage eine schmale Krawatte, die gab
     es in einem Laden an der Mönckebergstraße gerade im Angebot, aber so viele wurden es
     dann zum Glück gar nicht.
    Lindenberg hat so viele einzigartige Tricks drauf, dass er
     sich einige der besonders banalen zu erlernen weigert – eine Krawatte umbinden zu
     können gehört dazu. Also versah ich die schmalen Kragenschmuckanhängsel mit einer
     Schlupfschlaufe, er muss sie

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