Auch Deutsche unter den Opfern
Bereitschaftsdienststunden geschriebene Kriminalromane im Eigenverlag veröffentlicht hat, ist sein Spitz- und Rufname im Polizeifunk »Schriftsteller«. Kalinowski ist Angestellter der Fahrbereitschaft im Landeskriminalamt, er kutschiert Beamte, Strafakten, Dienstpost oder auch mal den Polizeipräsidenten durch Berlin. Aber heute streikt er, und mit ihm circa 600 Mitglieder der Polizei-Gewerkschaft.
Sie fordern 2,9 % mehr Lohn und drei einmalige Zahlungen von 300 Euro, und weil ja dauernd jemand irgendwas fordert, muss man sich etwas Besonderes ausdenken, um Reporter, Fotografen und Kamerateams zur Berichterstattung anzulocken. Die Idee der Polizei-Gewerkschaft: uniformiert in den Plötzensee springen. Eine gute Idee, das verspricht originelle Bilder, es sind viele Journalisten zum Freibad Plötzensee gekommen. Am Ufer steht ein zweistöckiger Turm, unten werden Getränke verkauft, oben wacht normalerweise die Badeaufsicht. Heute wartet dort Kalinowski auf seinen Einsatz. Er, der Dichter vom Dienst, hat ein Lied für den Streik geschrieben, aber das Mikrophon funktioniert gerade nicht. Am Fuße des Turms formieren sich die Polizisten zu zwei Schlangen, am Ende der einen steht ein Klapptisch, an dem sie per Unterschrift ihre Streikteilnahme dokumentieren, am Ende der anderen gibt es Bratwurst im Brötchen, dazu mittelscharfen Senf aus einem 10-Kilogramm-Eimer und Ketchup aus einer furzenden Plastikflasche.
Die Polizisten sind gut gelaunt, es scheint ihnen Freude zu bereiten, dass heute ausnahmsweise mal sie Regeln brechen und Quatsch machen dürfen, statt solcherlei Treiben zu unterbinden. Die gasbefüllten grünen
Ballons mit dem Gewerkschafts-Logo lassen sich gut an die Uniform-Schulterklappen binden, die Gewerkschaftstrillerpfeifen erzeugen den gewünscht ruhestörenden Protestlärm, die Würste sind nicht allzu verbrannt – und jetzt spurten die ersten Polizisten ins Wasser. Eine Polizeiangestellte im Objektschutz, kurz: PAngOS, von ihrem Chef liebevoll »meine kleene Pangosita« genannt, legt noch schnell ihre Mütze ab, ein seltenes, schirmloses Exemplar aus Altbeständen, nicht mehr neu zu bekommen, dann springt auch sie in den See. Das Wasser ist ein bisschen eklig, sagt sie, algig, glibschig, aber was soll’s. Mit Mütze ist natürlich für die Fotografen reizvoller, aber auch davon gibt es genug, die Polizisten posieren auf Kommando, machen jeden von den Fotografen geforderten Blödsinn mit. Und sie rufen auch brav den Slogan, den die Gewerkschaftsführung für diese Aktion erdacht hat, er lautet, man ahnt es: »Uns steht das Wasser bis zum Hals!«
Kalinowski steht immer noch auf dem Turm, das Mikrophon funktioniert mittlerweile, ein Gewerkschaftssprecher benutzt es gerade, um die paar in Zivil erschienenen Kollegen zu ermahnen, bei künftigen Streik-Aktionen bitte uniformiert zu erscheinen, das wirke dann besser. Kalinowski legt eine CD ein, es erklingt eine Instrumental-Version des Hits von DJ Ötzi, den Kalinowski für den Streik umgetextet hat: »Ein Stern, der Wowis Namen trägt / Kurz vorm Explodieren steht« und so weiter, Kalinowski hat den Text an seine Kollegen verteilt, alle sollen mitsingen. Ein Ohrwurm, sagt Kalinowski, ist doch viel wirkungsvoller als die immer gleich klingenden Streik-Parolen. Aber gerade als Kalinowski sein Streik-Lied uraufführen möchte, erleidet einer der badenden Polizisten einen Kreislaufkollaps, ein Sanitäter muss ihn mit Sauerstoff versorgen und schließlich ins Krankenhaus fahren – kein guter Moment für ein Stimmungslied.
Der Gewerkschaftssprecher nimmt Kalinowski das Mikrophon aus der Hand, sagt, dass es dem kollabierten Kollegen schon wieder ein bisschen besser gehe und das Badengehen sehr gut angekommen sei bei den Journalisten. Am Nachmittag habe man einen Termin »bei Körting«, beim Berliner Innensenator also, und dort werde man »kompromisslos« auftreten. Applaus, noch eine Wurst, umständlich in ein Badetuch gewickelt trockene Unterwäsche anziehen, Ende der Veranstaltung.
Kalinowski packt etwas enttäuscht seine CD ein, fragt dann, ob man Angst vor Ohrenschmalz habe – auf so eine Frage kann man nicht mit Ja antworten, und so reicht er einem die Ohrstöpsel seines MP3-Players. Nur noch ein Polizist steht jetzt am Ufer und lässt ein selbstgebasteltes ferngesteuertes Boot über den Plötzensee zischen. In den Ohrstöpseln Kalinowskis Gesang:
»Irgendwann ist es vorbei / Nach neuen Wahlen sind wir frei.«
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