Auch Die Waschmaschine Ist Nur Ein Mensch. Die Besten Technikgeschichten.
entwickeln und schneiden und was es da sonst noch zu tun gibt – das schaffen sie nie.«
»Doch, sie schaffen es«, widersprach ein anderer. In aller Augen leuchtete die Fernseh-Gier, in aller Ohren klang schon jetzt die Stimme des Ansagers:
»Unser Reporter befragte an der Unfallstelle einige Augenzeugen.« Vielleicht kommt ein ganzes Team mit drei oder vier Kameras. Vielleicht werden die Aufnahmen für die neue Erziehungsserie des Verkehrsministeriums verwendet: »Die Schrecken der Straße und was man dagegen tun kann.« Dann würden sie mehrmals hintereinander gesendet werden. Dann kommen wir mehrmals hintereinander auf den Bildschirm. Der Pkw-Fahrer oben auf der Pyramide begann zu stöhnen. Das hat uns gerade noch gefehlt: daß er zu Bewußtsein kommt und die Aufnahme schmeißt! Auch auf den Polizisten mit seinem ewigen »Bitte zurücktreten!« könnte man verzichten. Hämische Zurufe schwirrten ihm entgegen:
»He, Lieutenant Kojak… Hältst du dich für die Straßen von San Francisco… Du möchtest wohl allein die ganze Show bestreiten, was …«
Jemand schlug vor, den Pkw noch ein wenig höher zu schieben, damit es richtig sensationell aussähe.
»Lassen Sie nur«, sagte ich. »So, wie er jetzt liegt, ist es gut genug.«
Damit stand für die Menge fest, daß ich ein Mann vom Fernsehen wäre. Einige erinnerten sich, mich in der Sendereihe »So ist das Leben« gesehen zu haben und umringten mich aufgeregt.
»Euer Popsong-Programm ist miserabel«, beschwerte sich einer. »Warum engagiert ihr keine italienischen Sänger? Sie sind die besten.«
Die ältliche Dame, die den Unfall verursacht hatte – ihr selbst war weiter nichts geschehen-, fand es unschön von mir, daß der verbilligte Seniorentarif abgeschafft worden sei. Das hätte ich nicht tun dürfen, meinte sie. Ein Pensionist zupfte mich am Ärmel: Auf seinem Bildschirm erschienen immer wieder diese gewissen Wellenlinien, und ich sollte das endlich reparieren. Im ganzen schien die Ansammlung mit meiner Regie des Vorfalls nicht recht zufrieden zu sein, aber niemand sprach es deutlich aus, weil alle ins Bild kommen wollten.
Der Fahrer oben stöhnte schon wieder. Plötzlich erklang eine freudige Stimme:
»Sie kommen!«
»Keine Spur!« entgegnete die Menge. »Das ist nur die Ambulanz.«
Es war ein schlimmer Augenblick. Was, wenn die Sanitäter den Verletzten abtransportierten? Wo bleiben dann die Aufnahmen?
»Tragen Sie ihn noch nicht weg!« baten die Umstehenden. »Nicht bevor die anderen kommen! Bitte!«
Das Ambulanzteam erkannte die Stichhaltigkeit dieses Ansuchens und übte Zurückhaltung. Nur der Sanitäter, der die Tragbahre bereithielt, warf einen besorgten Blick zu dem eingeklemmten Fahrer hinauf:
»Vielleicht braucht er eine Bluttransfusion oder sonst etwas?«
»Nein, nein«, beruhigte man ihn. »Der nicht. Eben hat er sich wieder bewegt. Und außerdem will er ja ins Bild kommen.«
Ein paar Halbwüchsige kletterten auf Laternenpfähle, um im geeigneten Augenblick in die Kamera grinsen und winken zu können.
»Wasser«, hörte man den Fahrer abermals stöhnen.
»Wasser.«
»Du kriegst einen ganzen Eimer voll!« wurde ihm zugerufen. »Aber jetzt halt still!«
Ein Taxi bog um die Ecke, hielt an und entließ einen schläfrigen Gesellen mit einer Kamera, gefolgt von einem Minderjährigen mit einem Mikrofon. Die Menge verstummte ehrfürchtig. Für die meisten war es das erste Mal, daß sie der Erfindung Fernsehen sozusagen in Fleisch und Blut begegneten. Ein alter Mann murmelte einen Segensspruch.
»Was ist los?« fragte der Kameramann. Die beinahe überfahrene Fußgängerin bezog Posten:
»Er hat mich beinahe überfahren!« rief sie mit schriller Altweiberstimme. »Beinahe überfahren hat er mich!«
Ein Samurai-Typ in einem japanischen Sporthemd stieß sie beiseite:
»Ich hab’s genau gesehen! Diese kleine Wanze kam in rasendem Tempo herangesaust .«
Ringsum ertönten Protestrufe:
»Der Kerl war ja gar nicht dabei … Er ist später gekommen als die Ambulanz … Und jetzt stiehlt er uns die Show… Unerhört…«
Auch ich war angeekelt. Warum haben sie nicht mich gefragt?
»Ich selbst bin ein routinierter Fahrer«, sagte der Samurai gerade in die emsig surrende Kamera. »Fuhr einen Ferrari. Habe an Autorennen teilgenommen. Aber dann hat meine Schwester diesen Verbrecher geheiratet, und da hat mein Vater gesagt: Schluß mit den Autorennen. Na ja, und wie dann die Scheidung kam, war ja vorauszusehen, nicht wahr, da hat’s also
Weitere Kostenlose Bücher