Auch Engel Moegens Heiss
dieser Kategorie war Alabama führend in den ganzen Vereinigten Staaten. Jeder Bürger des Staates konnte sich in jeder beliebigen Bücherei eintragen lassen und hatte fortan von zu Hause aus online Zugriff auf mehrere tausend Zeitungen, Zeitschriften, Artikel, Lexika, medizinische Fachzeitschriften, auf Forschungsmaterial und so weiter. Einige der Kategorien waren für Kinder in den verschiedenen Altersgruppen eingerichtet worden, die damit im Unterricht arbeiten, Hilfe bei den Hausaufgaben erhalten oder sich einfach informie- 39
ren konnten. Auch in anderen Staaten gab es virtuelle Bibliotheken, doch die von Alabama war bei weitem die umfangreichste.
»Sie werden begeistert sein«, prophezeite sie enthusiastisch, wobei sie das Klappbrett in der Theke anhob, sodass sie aus der Sicherheit ihres Arbeitsbereiches treten konnte. »Kommen Sie mit.«
Sie führte ihn zur bibliografischen Abteilung, wo das allzeit bereite Internet-Terminal vor sich hin summte. Sie setzte sich auf den Stuhl vor dem Computer und bedeutete ihm, sich ebenfalls einen heranzuziehen. Er packte einen Stuhl an der Lehne, stellte ihn viel zu dicht neben ihrem ab und ließ seinen mächtigen Körper darauf sinken. Er lehnte sich zurück und schlug ein langes Bein über, wobei sein linker Knöchel auf dem rechten Knie zu liegen kam. Es war die Haltung eines dominanten Mannes, eines Menschen, der es gewohnt war, den Raum um sich herum körperlich zu vereinnahmen.
Daisy runzelte die Stirn und zog im Geist die Punkte wieder ab, die sie ihm eben gutgeschrieben hatte. Hatte er noch nie gehört, dass man seine Mitmenschen nicht bedrängen durfte? Sie rutschte mit dem Stuhl eine Hand breit von ihm ab und notierte »keine Manieren« in der Minus-Spalte.
Dann fragte sie alle erforderlichen Angaben ab, gab sie in das System ein und händigte ihm schließlich sein Passwort aus. Die ganze Zeit über war ihr nur zu deutlich bewusst, dass er sie immer noch bedrängte; mehrmals kam ihr Blick auf dem muskulösen Schenkel direkt neben ihrem zu liegen. Wenn sie noch weiter zur Seite rutschte, würde sie nicht mehr an die Tastatur kommen. Verärgert, weil er bestimmt wusste, dass er ihre persönliche Sphäre verletzte - die Bullen in den Großstädten lernten solche Sachen, oder? -, feuerte sie einen zornigen Blick auf ihn ab und fiel fast vom Stuhl, weil er sie mit großen Augen anstarrte. Er versuchte nicht einmal, es zu verbergen.
Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Normalerweise hät- 40
te sie die Anmeldung so schnell wie möglich abgeschlossen und wäre dann in ihr sicheres Büro zurückgeflohen, aber heute war ein neuer Tag, ein Wendepunkt in ihrem Leben, darum beschloss sie, dass sie sich um gar keinen Preis einschüchtern lassen würde. Sie war schließlich schon unhöflich zu Mrs. Simmons gewesen, warum sollte sie nicht auch unhöflich zum Polizeichef sein?
»Glotzen Sie mich nicht so an«, verkündete sie also ohne Umschweife. »Hab ich vielleicht Dreck im Gesicht, oder sehe ich aus wie eine gefährliche Kriminelle?«
»Keines von beidem«, antwortete er. »Polizeibeamte müssen ihre Mitmenschen anglotzen; das gehört zu ihrem Job.«
Ach. Wahrscheinlich war das nicht einmal gelogen. Sie schraubte ihre Empörung ein paar Umdrehungen zurück - aber nur ein paar. »Hören Sie trotzdem auf damit«, befahl sie. »Es ist unhöflich, und außerdem rücken Sie mir zu nah auf die Pelle.«
»Verzeihung.« Trotzdem wandte er nicht den Blick von ihr ab; offenbar reagierte er nur widerwillig auf Befehle. Seine Augen waren von einem ungewöhnlichen Graugrün, eher grün als grau, und schienen irgendwie nicht recht zu seiner olivfarbenen Haut zu passen. Natürlich stand es ihr nicht zu, über die seltsamen Augen anderer Leute zu lästern, schließlich waren ihre eigenen Augen verschiedenfarbig. »Ich wollte Ihnen nicht auf die Pelle rücken, Miss … Daisy, nicht wahr?« Seine vollen Lippen zuckten. »Soll ich Sie eventuell irgendwo hinchauffieren?«
Ihr Antlitz verfärbte sich weit über ein gewöhnliches Erröten hinaus in ein tiefes Tomatenrot. Seit der Film Miss Daisy und ihr Chauffeur herausgekommen war, hatten es unzählige Menschen für originell gehalten, ihr dieses Angebot zu machen. Bislang hatte sie kein einziges Mal darüber lachen müssen. Sie verpasste ihm gleich noch mal zwei Minuspunkte, weil es ausgesprochen unhöflich war, sich über den Namen eines Mitmenschen lustig zu machen.
»Nein danke«, antwortete sie so unterkühlt, dass er
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