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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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durch.«
    »Hallo! Holly Park 8099?«
    »Ja.«
    »Ist dort der Arzt?«
    »Ja.«
    »Ach, entschuldigen Sie die Störung, Herr Doktor, ich versuche den ganzen Tag schon, Sie zu erreichen. Ich bin sehr besorgt. Wissen Sie, meine Schwiegermutter lebt in Liverpool, und sie hat den Kindern ausgerechnet jetzt eine Lokomotive und einen Teddybär, einen lebensgroßen, geschickt, für Linda zu Weihnachten. Ich wollte Sie nun bitten, Herr Doktor, wenn Sie einen Moment Zeit haben, mir wegen dieser Pocken einen Rat zu geben. Die Kinder’ sind, als sie klein waren, natürlich geimpft worden, aber Len und ich, nun, man hört so viele Geschichten... «
    Als die Abendsprechstunde begann, waren Sylvia und ich heiser und reizbar vom Beantworten des Telefons.
    Jetzt standen die Leute den Gartenweg hinunter.
    »Es ist sinnlos, daß mehr als fünfundzwanzig von Ihnen auf die Impfung warten«, rief ich hinauf, »wir haben nur für fünfundzwanzig Personen Impfstoff bekommen. Ich hoffe, daß wir morgen vormittag neues Serum erhalten werden.«
    Keine Seele rührte sich.
    »Nun, wenn Sie wollen, warten Sie. Ich kann jedenfalls nur fünfundzwanzig impfen.«
    Bis gegen Mitternacht beantworteten wir Anfragen.
    Beim Zubettgehen sagte ich zu Sylvia: »Wenn heute nacht jemand anruft, geh du ans Telefon. Versuche die Anrufe abzuwimmein, sonst bin ich morgen früh nicht fähig weiterzumachen.«
    Wir schliefen bis halbdrei, als Sylvia nach dem läutenden Telefon griff, das Wasserglas auf dem Nachttisch umwarf und die Lampe zu Boden fiel.
    »Hallo«, sagte sie schließlich. »Nein, tut mir leid, der Doktor ist nicht hier.«
    »Wer ist es?« zischte ich. »Ich habe dir nicht gesagt, daß du erzählen sollst, ich sei ausgegangen.«
    »Ich will dich nur beschützen«, zischte Sylvia zurück. »Es ist Mrs. Phipps. Ihr Mann hat Halsentzündung.«
    »Sage ihm, er soll zwei Aspirin nehmen und morgen früh wieder anrufen, falls er sich nicht besser fühlt.«
    Sylvia wiederholte Mrs. Phipps die Botschaft.
    Sie legte wieder die Hand über die Muschel.
    »Sie sagt, er habe bereits zwei Aspirin genommen.«
    »Sag ihr, er soll etwas Heißes trinken.«
    Sie gab die Instruktion weiter.
    »Er hat bereits etwas Heißes getrunken.«
    »Sag ihr, er soll im warmen Zimmer bleiben und schlafen gehen.«
    Sylvia sagte das zu Mrs. Phipps, und dann hörte sie längere Zeit zu.
    »Was sagt sie?« zischte ich.
    »Sie sagte: >Verzeihen Sie bitte, aber falls der Mann im Bett bei Ihnen auch Arzt ist, könnte der vielleicht kommen und meinen Mann untersuchen?<«
    Am nächsten Morgen begann der Alptraum aufs neue. Draußen vor dem Sprechzimmer stand bereits um acht Uhr eine Menschenschlange.
    Ich brachte es fertig, hundert Ampullen Serum zu bekommen und dazu einen Stapel gelber Karten, von denen ich optimistisch annahm, daß sie für lange Zeit ausreichen würden. In unserem Bezirk gab es jedoch viele jungverheiratete Ehepaare, und ich vermutete, daß unter ihnen die Panik besonders groß war, weil die Mütter um ihre Kinder Angst hatten.
    Es war zehn Uhr geworden, als ich mit dem Serum zurückkam. Die Schlange vorm Haus reichte nun bis zur Straßenecke, und im Haus sah es schlimm aus. Das Wartezimmer war so überfüllt, daß Miss Nisbet aus ihrem kleinen Büro nicht mehr herauskonnte, die Atmosphäre war, milde ausgedrückt, geladen.
    Ich begann unverzüglich mit der Arbeit. Gegen elf Uhr, als ich üblicherweise zur Morgenvisite aufbrach, hatte ich ungefähr dreißig Personen geimpft und war erschöpft. Um zwölf Uhr reichte die Menschenschlange nur noch bis zum Gartentor. Fünf nach zwölf telefonierte Miss Nisbet zu mir ins Sprechzimmer, deren flüsternde Stimme zitternd mitteilte, daß Mrs. Upjohn im Wartezimmer in Ohnmacht gefallen sei.
    »Am besten bringen Sie sie zu mir«, sagte ich.
    »Ich kann nicht«, fauchte Miss Nisbet, »ich komme nicht durch.«
    Die Leute im Wartezimmer, von denen einigen, wie Mrs. Upjohn, durch die Hitze schlecht geworden war, wollten hinaus. Die Leute auf der Treppe drängten nach innen. Mrs. Upjohn war zwar ohnmächtig geworden, hatte aber keine Möglichkeit, umzufallen. Mit der Hilfe des jungen Mike Rafferty, der in seiner Freizeit Gewichte stemmte und Mrs. Upjohn hochhob, als sei sie eine Hantel, brachte ich es fertig, sie ins Sprechzimmer zu bringen, wo ich Wiederbelebungsversuche anstellte, sie impfte und durch das Fenster hinausschob.
    Mrs. Buchanan war die nächste.
    »Rollen Sie Ihren Ärmel auf«, sagte ich müde und suchte nach einer

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