Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
hast, und der verbreitet schlechte Laune. Dann geh doch bitte!
Nur manchmal weiß ich selbst auch nicht genau, ob wir überhaupt eingeladen worden sind auf diese Party. Manchmal fühle selbst ich mich, als wäre ich gar nicht wirklich erwünscht.
Bad Soden – wie ein Fleck auf einer weißen Bluse
Mit Sicherheit gibt es eine Menge Idioten in Deutschland, die ausländerfeindlich eingestellt sind, und natürlich gibt es eine Menge Leute, die uns als »Scheißkanaken« bezeichnen oder abfällig über uns reden. Aber, und das sage ich mit allem Nachdruck: Ich glaube nicht, dass die Mehrheit in Deutschland möchte, dass die Ausländer verschwinden. Das ist Quatsch. Egal, ob so etwas wie pro NRW existiert, rechtsradikale Kameradschaften oder auch der Nationalsozialistische Untergrund. Von solchen Sachen sollte man sich nicht ablenken lassen. Ich glaube schon, dass wir hier willkommen sind. Zumindest will ich das glauben. Zumindest glaube ich das als Berliner.
Manchmal allerdings, das muss ich zugeben, kommen mir auch Zweifel. Dann nämlich, wenn ich feststelle, dass Berlin nicht überall ist und Deutschland viel größer und viel mehr ist als nur Berlin. Das vergisst man als Berliner ja ganz gern und dann bin ich immer wieder schockiert, dass die Uhren auf dem flachen Land, in den Kleinstädten, Dörfern und Gemeinden doch ganz anders laufen. Wenn ich mir dann noch bewusst mache, dass achtzig Prozent der Deutschen in genau solchen Dörfern und Kleinstädten wohnen und gar nicht in der Großstadt, dann weiß ich tatsächlich nicht, ob ich recht habe mit dem, was ich glaube – was ich glauben will.
1987 sind wir nach Bad Soden gezogen, da mein Stiefvater dort eine Arbeit bekommen hat. Bad Soden liegt im Main-Taunus-Kreis, hat MTK als Ortskennzeichen auf dem Nummernschild und ist im Endeffekt am Arsch der Welt. Dort habe ich auch den Mauerfall erlebt und zum ersten Mal gemerkt, dass ich anders bin, oder besser gesagt, dass die Leute mich als anders wahrnehmen.
In Neukölln habe ich mich ja nie als Ausländer gefühlt. Ich habe zwar nicht richtig dazugehört, aber dass man Ausländer war, war dort normal. Als ich in die Schule ging, war es üblich, dass da keine Michaels, Andreasse oder Thomasse rumsaßen, sondern eben Alis, Mohammeds und Ayşes.
Bad Soden dagegen war ultradeutsch. Das war, wie wenn man plötzlich in so einem Bild mit röhrendem Hirsch gefangen gehalten wird. Es war das genaue Gegenteil von Berlin-Neukölln und ich habe mich immer gefragt, ob das wirklich dasselbe Land ist, so komisch kam es mir vor. Ich habe mich gefühlt wie ein Fleck auf einer weißen Bluse, wie etwas, was da nicht hingehört, ein Makel, etwas Störendes, ein Kratzer auf einer Platte, ein Schwarzkopf im hessischen Bergland.
Das war dort alles sehr unterschwellig. Da gab es keine Leute, die Steine nach mir geworfen haben, und niemanden, der unsere Wohnung angezündet hat wie bei dem Brandanschlag auf das von Türken bewohnte Haus in Solingen, aber man konnte es spüren, die ganze Atmosphäre war gegen uns. Die Leute, wie sie einen anguckten, und der Busfahrer, wenn ich morgens zur Schule gefahren bin. Die Tür ging auf, er sah mich an und ich erkannte an seinem Blick, dass er dachte: »Na, wenn’s sein muss, dann steig halt ein.« Das war immer unausgesprochen und keiner hat »Scheißkanaken« oder »Sieg Heil« geschrien, es war eher ein Gefühl des Unbehagens, wie bei einer entzündeten Haarwurzel. Es eitert und man weiß nicht, warum, dann zieht man das Haar heraus und plötzlich ist alles wieder okay.
Wir haben damals im zweiten Stock eines ganz normalen Mietshauses gewohnt. Im Erdgeschoss lebte eine alte Oma mit ihrem Mann, das waren richtige Spione. Die haben uns die ganze Zeit beobachtet, mit Spiegeln hinter den Gardinen. Es war ein bisschen wie in der Lindenstraße : »Guten Tag, Frau Kling.« – »Sei nicht so frech.« Die haben sich das Maul zerrissen über uns und wahrscheinlich die ganze Zeit darauf gewartet, dass es im Hausflur nach Knoblauch stinkt und wir in der Nacht die Musik aufdrehen, damit sie uns bei der Hausverwaltung anschwärzen können. Die waren richtig unangenehm.
Der einzige Jugendliche, der ansatzweise in meinem Alter war und auch in diesem Haus wohnte, war ein Junge, der offensichtlich geistig behindert war. Er fuhr den ganzen Tag auf seinem Fahrrad ums Haus und machte dabei Eisenbahngeräusche: »Tschtschtschtschtsch, tüüt, tüüt, tschtschtschtschtsch.« Den ganzen Tag. Das hat mich fast in
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