Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
mehr, das wusste ich genau. Da wollte ich auf jeden Fall raus.
Diesen Wunsch hatten die Menschen in der Hobrechtstraße nicht. In meiner Zeit dort, in den 80er-Jahren, hatten die nicht einmal mehr diesen Gastarbeitertraum, dass es irgendwann mal zurück in die Heimat gehen würde. Das war ja das große Missverständnis der deutschen Einwanderungspolitik, dass alle – die Deutschen und die Ausländer – dachten, die Gastarbeiter würden irgendwann zurück in ihre Heimatländer gehen. Dieser Traum war ausgeträumt, nur die Politik war noch nicht so weit. Die Menschen hatten sich längst eingerichtet, haben hier ihre Kinder bekommen und der Vater ist arbeiten gegangen bei Siemens oder bei Schering. Die Mutter hat zu Hause gekocht, die Familie klargemacht und die Kinder haben draußen gespielt. Ob die was anderes wollten? Keine Ahnung. Auf mich wirkte es eher wie: Wir haben uns damit abgefunden. Wir sind hier, fristen ein eingeschränktes Dasein und versuchen, Geld zu organisieren, damit wir überleben können. Da war nichts mit großen Träumen.
Obwohl wir in dieser Ausländerwelt mit Deutschen so gut wie gar nichts zu tun hatten, hatten alle im Großen und Ganzen einen ziemlich positiven Bezug zu Deutschland. Nie hat man jemanden schlecht über Deutschland reden gehört. In der Hobrechtstraße, in Neukölln, soweit ich das mit neun oder zehn Jahren überblicken konnte, gab es nie irgendwas Negatives. Das war unsere Heimat, die war cool, und wenn wir in den Sommerferien für sechs Wochen in die Türkei geflogen sind, wollte ich immer wieder ganz schnell zurück nach Deutschland, und den anderen ging es genauso. Wir »Kanakenjungs« haben uns immer schon am Anfang der Sommerferien verabredet, dass wir uns in sieben Wochen wiedersehen würden, und alle haben sich sieben Wochen lang auf die Rückkehr gefreut. Da, wo wir im Urlaub hingefahren sind, war ja nicht unsere Heimat. Bei mir war es sowieso anders, weil meine Mutter Deutsche ist und nur mein Stiefvater Türke war, aber selbst die rein türkischen oder arabischen Kumpels, die ich hatte, wollten alle immer zurück nach Berlin, denn hier war es cool. Hier waren wir zu Hause.
Wenn die in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen heutzutage ihre vermeintlichen »Heimatländer« feiern, ist das ein bisschen heuchlerisch, denn keiner will wirklich dort leben, auch wenn sie alle ihre Flaggen rausholen. Die Leute, die ich kenne oder die ich beim Friseur treffe, sind zwar alle sehr patriotisch, wenn es um das Land ihrer Väter und Mütter geht, und Patriotismus wird großgeschrieben, aber wirklich zurück wollen die nicht.
Das ist eher, wie wenn man Fan von einem Fußballverein ist, da fühlt man sich auch besser, wenn er gewinnt. Und wenn die Türkei mal ein Länderspiel gewinnt, ist das schon sehr befriedigend für die türkischen Fans. Ich glaube, dass es da gar nicht so sehr um die Herkunft geht, um das Land und die Wurzeln, sondern einfach nur darum, dass man einen Wettstreit gewonnen hat und man sich als Türke dann ganz einfach besser fühlt. Das ist ein etwas verschobenes, romantisches Denken, denn da geht es nicht um Fakten oder um die gesellschaftliche oder wirtschaftliche Situation im Land oder die politische Lage. Da geht es nur darum: Wir sind cooler als alle anderen. Wir sind »Kanaken«. Wir schlagen schneller zu. Wir sind stärker als die Deutschen. Wir sind cooler als die Deutschen. Ich kenne nur ganz wenige Menschen, die wirklich stolz auf ihr Land sind um des Landes willen. Sie sind stolz auf ihr Land, weil sie eine Sehnsucht im Herzen tragen nach einer Heimat, und Deutschland tut sich manchmal schwer damit, diese Sehnsucht zu stillen.
Die hier lebenden Ausländer, die hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund wollen in den seltensten Fällen zurück in ihre Heimatländer oder in die Länder ihrer Vorfahren. Selbst wenn sie Anpassungsprobleme haben, selbst wenn sie sich die ganze Zeit über Deutschland beschweren und denken, dass ihre Heimat woanders und es dort viel besser sei, Tatsache ist: Sie leben alle hier und sie leben auch gerne hier. Diese Leute werden nicht gehen und sie stellen vielleicht in mancher Hinsicht eine Belastung dar, aber ich denke, dass Deutschland auch stark genug ist, mit einer solchen Belastung fertig zu werden. Auf der anderen Seite sage ich auch jedem, dass er gehen kann, wenn’s ihm hier nicht gefällt. Das erspart uns eine Menge Probleme. Das ist dann nämlich, wie wenn du jemanden auf deine Party eingeladen
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