Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
der Bevölkerung davon ausgegangen, dass alle arabischen oder türkischen Mädchen automatisch zwangsverheiratet werden. Natürlich kann man nicht bestreiten, dass es Zwangsehen gibt, aber das heißt nicht, dass so etwas überall und in jeder Familie gleichermaßen vorkommt.
Hierfür gibt es wieder ein Beispiel aus Hassans eigener Familie. Seine jüngste Schwester hatte einen Anwärter und zunächst hatte sie einer Heirat mit diesem Mann auch zugestimmt. Die Sache war perfekt und die Hochzeitsvorbereitungen waren schon fast im Gang, als sie es sich dann noch einmal anders überlegt hat. Die Hochzeit wurde schlussendlich abgeblasen. Das war ihre Entscheidung, und auch wenn das nicht ohne heftige Diskussionen mit dem Vater abging, zu guter Letzt hat sie sich durchgesetzt. Dem Vater war das zwar unheimlich peinlich, dem war es absolut nicht recht, weil der sehr auf seinen guten Ruf achtet und darauf, was die Leute reden und über ihn sagen, aber trotzdem hat die Tochter ihren Willen bekommen.
Mit dem Islam hat eine Zwangsverheiratung ohnehin nichts zu tun. Es gibt mehrere Aussagen des Propheten im Koran, die eindeutig erklären, dass die Frau einer Ehe zustimmen muss und dass sie das Recht hat, ihren Ehemann selbst auszuwählen. Viele von denen, die sich auf den Koran beziehen und auf die Religion, haben in Wirklichkeit gar keine Ahnung von ihrer eigenen Religion. Ich habe ja schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass sich viele Einwanderer hinter der Religion und dem Glauben verschanzen, obwohl sie kaum etwas bis gar nichts davon wissen. Die labern einfach nur nach, was sie meinen irgendwo mal gehört zu haben, können selbst nicht richtig Arabisch lesen, haben den Koran aber auch in keiner anderen Sprache jemals selbst gelesen.
Trotz allem: Es gibt Zwangsehen, und je nachdem, woher die Leute kommen, in unterschiedlicher Ausprägung. Bei den Türken und bei den Kurden sind sie zum Beispiel sehr weit verbreitet, aber es gibt auch Palästinenser und Libanesen, die das durchziehen. Bei den Kurden werden die Ehepartner einander teilweise schon als Kleinkinder versprochen. Wenn da einer der Brüder einen Jungen bekommen hat und ein Jahr später bekommt der andere Bruder ein Mädchen, dann wird ausgemacht, dass er ihr gehört und sie ihm. Die erziehen ihre Kinder auch mit dieser Vorstellung: »Das wird dein Mann und das wird deine Frau.« Dann ist die Sache entschieden und daran gibt es nichts mehr zu ändern. Das ist schon sehr, sehr archaisch und deshalb gibt es wahrscheinlich auch unter den Kurden wiederum die gesellschaftlich aufgeklärtesten Aktivisten, die sich gegen solche Praktiken zur Wehr setzen und auch gegen Gewalt in der Ehe und allgemein häusliche Gewalt.
Das Problem gibt es aber auch in anderen Migrantengruppen, zum Beispiel bei den Palästinensern. In unserem Bekanntenkreis gab es ein Mädchen, das mit 24 Jahren noch nicht verheiratet war. Da haben die Eltern beschlossen, dass sie jetzt heiraten muss, weil sie Angst hatten, dass sie ansonsten keinen Mann mehr bekommt. Das musste dann auch ein Palästinenser sein oder zumindest ein muslimischer Araber. Um die Sache noch komplizierter zu machen, durfte es aber kein Libanese sein, weil Libanesen Schiiten sind, und da kommen wieder theologische Konflikte ins Spiel, weil Sunniten und Schiiten, das geht ja nicht, ungefähr so wie vor fünfzig Jahren hier, als Ehen zwischen Protestanten und Katholiken noch argwöhnisch beäugt wurden. Ein Stefan, der zum Islam konvertiert ist, wäre in dem Fall des palästinensischen Mädchens wahrscheinlich auch keine Option gewesen und ist es in den meisten Fällen nicht. Was dann aber wiederum weniger am islamischen Glauben liegt als am Nationalismus, denn es soll dann doch bitte schön einer aus der eigenen Volksgruppe sein.
Vom Islam her dürfte man einer solchen Ehe eigentlich nicht widersprechen. Wenn nämlich ein Stefan zum Islam konvertiert und das Mädchen ihn will, dann hat er nach islamischem Glauben das Recht, das Mädchen zu heiraten. Nach islamischem Recht wäre das also überhaupt kein Problem, gesellschaftlich aber durchaus. Die Leute würden erst mal vollkommen durchdrehen. Da regieren immer noch die alten Traditionen, die ethnischen Vorstellungen und die kulturellen Gepflogenheiten.
Auch wenn die deutsche Öffentlichkeit oft den Eindruck hat, dass sich gerade in diesen Bereichen nichts bewegt, ist das nicht richtig. Es bewegt sich. Sehr langsam zwar, aber es bewegt sich, denn schon allein die
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